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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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neben ihm her. Die Häuser standen hier nicht mehr so dicht, und nach einigen Scheunen und Schweinepferchen am Ortsrand erreichte er die Ebene, in der der Bear Creek von einem schmalen Bach zu einem Sumpf wurde, um kurz dahinter seine Wasser wieder zu sammeln und in den Mississippi fließen zu lassen. Die Geräusche der Stadt verebbten und ein Sirren und Summen von Stechmücken und Libellen hüllte Tom ein, unterbrochen vom gelegentlichen Quaken der Frösche.
    Der Regen hatte aufgehört, und der Mond blitzte hinter den Wolken hervor wie eine abgegriffene Silbermünze, als Tom über die ausgetretenen Bohlen zum Gefängnis ging.
    Die Tür war verriegelt. Tom blickte sich um und lauschte. Niemand war ihm gefolgt, wie es schien. Schwerfällig kniete sich Tom neben Hollis und drückte ihn sanft zu Boden. »Platz. Und dann pass auf, ob jemand kommt, verstanden?«
    Hollis schleckte Tom über die Hand, und zu Toms Überraschung blieb der Hund tatsächlich sitzen, als er wieder aufstand. Er ging im Uhrzeigersinn um den Backsteinquader herum, drückte sich an Schilf und Knöterichsträuchern vorbei, bis er zu dem schmalen vergitterten Fenster von Hucks Zelle kam. Ein fauliger Geruch drang durch das Fenster heraus, eine entsetzliche Mischung aus Fäkalien und Verwesung.
    Tom schluckte. Bestimmt war Huck noch nicht in der Lage, sich zum Nachttopf zu schleppen. Jemand musste ihn waschen, am besten morgen. Cooper hatte ihn eindringlich beschworen, auf Sauberkeit zu achten, wenn Huck nicht an einer Infektion zugrunde gehen sollte. Tom spähte durch die Gitterstäbe. Das trübe Mondlicht malte vier schmale helle Quadrate auf das Stroh am Boden und auf Hucks Pritsche. Huck lag regungslos auf dem Rücken, und Tom zuckte zusammen, als er erkannte, dass sein Freund die Augen offen hatte. Atmete er noch?
    »Huck? Hucky, hörst du mich?«
    Es kam keine Antwort, und Toms Nackenhaare stellten sich auf. War er tot?
    »Huck, verdammt!«
    Ein Stöhnen drang aus der Zelle. Huck blinzelte. Erleichterung kroch wie ein warmer Schauer über Toms Rücken.
    »Huck, ich bin’s! Tom! Hier drüben am Fenster!«
    Huck drehte ganz langsam den Kopf zum Fenster, als könne er die Augen nicht bewegen. Er stöhnte erneut.
    Tom winkte. »Ja! Hier bin ich, Huck! Ich bin gekommen, um nach dir zu sehen!«
    Huck versuchte, sich auf die Ellenbogen zu stützen und sich ein wenig aufzurichten. »Tom. Du …«
    Er sank wieder zurück. Sein kraftloses Röcheln brach Tom das Herz. »Mach langsam, Huck! Du musst dich erholen!«
    Die Augen seines Freundes glommen fiebrig in der Dunkelheit. Huck befeuchtete seine rissigen Lippen mit der Zunge, dann hob sich sein Brustkorb, als sammle er Luft und Kraft für das, was er sagen wollte. »Ich … ich brauch …«
    »Ja, Huck? Was brauchst du? Was soll ich dir bringen?«
    »Ich … brauch ’nen Drink, verdammt, Tom! Ich brauch ’nen Drink wie ’n Neugeborenes den Nippel seiner Mama!«
    Tom seufzte, und doch stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. »Sollst du kriegen, Huck. Ich bring dir morgen früh eine Flasche, wenn du mir versprichst, dass du es langsam angehen lässt.«
    Statt einer Antwort brach ein bellender Husten aus Hucks Brust hervor. Tom biss sich auf die Lippen, dann fuhr er kurz herum, als er glaubte, er habe ein Winseln von Hollis gehört.
    »Danke, Tom.«
    Als er Hucks schwache Stimme hörte, schaute Tom wieder durch das Gitter. Der Hustenanfall war vorbei. Ein dünner Speichelfaden glänzte im Mondlicht auf Hucks Kinn. Schwarzer Speichel. Blut.
    Tom sah auf seine Hände, die die Gitterstäbe umklammerten. »Huck, ich … Ich weiß, dir geht’s dreckig, aber ich muss trotzdem fragen: Was hast du bei Polly gemacht?«
    Hucks Atem drang rasselnd durch das Zellenfenster zu Tom. Er wartete, aber Huck schwieg beharrlich.
    Sag doch endlich was!
    Tom schlug mit der flachen Hand gegen die Gitterstäbe. »Verdammt, Huck! Ich muss es wissen! Was war in dem blutigen Sack? Und was war mit diesem Mädchen? Diese Sally Austin? Hast du auf dem Gemeindefest versucht, sie zu vergewaltigen?«
    Selbst im fahlen Mondlicht konnte Tom sehen, wie Huck die Augen aufriss. Er blinzelte, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er schüttelte den Kopf.
    »Ich … hab das nich’ gewollt! Ich … wollt dem Mädel nichts antun, das musst du mir glauben, sie hat –«
    Wieder wurde er von einem Hustenanfall unterbrochen.
    Tom wartete, bis der vorüber war. Huck lag erschöpft auf der Pritsche, schweißüberströmt und außer

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