Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
Zahlen.
Dies läßt die Frage unbeantwortet, warum die Zwillinge in Primzahlen miteinander kommunizieren. Kalenderberechnungen erfordern jedoch die Verwendung der Primzahl sieben. Und wenn man an Modularithmetik im allgemeinen denkt, so fällt einem auf, daß die Moduldivision nur dann geordnete zyklische Muster ergibt, wenn man mit Primzahlen operiert. Da die Primzahl sieben den Zwillingen hilft, Daten und damit auch Ereignisse an bestimmten Tagen in ihrem Leben wiederzufinden, mögen sie festgestellt haben, daß andere Primzahlen Muster ähnlich denen erzeugen, die für ihre Erinnerungsleistungen so bedeutsam sind. (Im Fall der Streichhölzer sagten sie: (Einhundertelf - dreimal siebenunddreißig) - beachten Sie, daß es die Primzahl siebenunddreißig war, die die Zwillinge mit drei multipliziert haben.) Es wäre möglich, daß sie nur Primzahlmuster (visualisieren› können. Die durch verschiedene Primzahlen gebildeten unterschiedlichen Muster (zum Beispiel Multiplikationstabellen) könnten die Bestand teile jener visuellen Information sein, die sie einander geben, wenn sie eine bestimmte Primzahl wiederholen. Kurz: Die Modularithmetik hilft ihnen vielleicht, ihre Vergangenheit wiederzufinden, und daher ist es möglich, daß die Muster, die durch diese Berechnungen entstehen (und die nur bei Primzahlen auftreten), für die Zwillinge eine besondere Bedeutung erhalten. »
Ian Steward weist darauf hin, daß man durch den Einsatz dieser Modularithmetik in Situationen, in denen jede «normale» Arithmetik versagt, schnell zu einer eindeutigen Lösung kommt. Dies gilt besonders für das Anpeilen (mit Hilfe des sogenannten «Ablagefachsystems») extrem großer, mit konventionellen Methoden nicht mehr berechenbarer Primzahlen.
Wenn man diese Methoden, diese Visualisierungen, als Rechenverfahren bezeichnen kann, dann sind sie - da sie nicht algebraisch, sondern räumlich, als Bäume, Spiralen, räum liche Anordnungen und «Denklandschaften» strukturiert sind -sehr sonderbare Rechenverfahren, Konfigurationen in einem formalen und doch quasisensorischen geistigen Raum. Israel Rosenfields Bemerkungen und Ian Stewards Ausführungen über «höhere» Arithmetik (und besonders die Modularithmetik) erregten meine Aufmerksamkeit, denn hierin deutet sich, wenn nicht eine «Lösung», so doch ein tiefer Einblick in sonst unerklärliche Fähigkeiten wie die der Zwillinge an.
Diese höhere oder vertiefte Arithmetik wurde im Prinzip von Gauß entwickelt und in seinem Werk ‹Disquisitiones arithmeticae) dargelegt. Sie ist jedoch erst in den letzten Jahren praktisch angewendet worden. Man muß sich fragen, ob es vielleicht nicht nur eine «konventionelle» Arithmetik gibt (dasheißt eine Arithmetik der Rechenoperationen), die «unnatürlich» und schwer erlernbar ist und Lehrer wie Schüler oft vor Probleme stellt, sondern auch eine tiefe Arithmetik von der Art, wie Gauß sie beschrieben hat, die der Arbeitsweise des Gehirns ebenso entspricht wie Chomskys Tiefenstruktur und seine generative Transformationsgrammatik. Eine solche Arithmetik könnte in einem Geist wie dem der Zwillinge dynamisch, ja fast lebendig sein: Kugelförmige Zahlenhaufen und -nebel entfalten sich und wirbeln durch ein unablässig expandierendes mentales Universum.
Wie ich bereits erwähnt habe, erhielt ich nach der Veröffentlichung von «Die Zwillinge» zahlreiche Zuschriften, und es setzte ein reger Austausch persönlicher wie wissenschaftlicher Art über das Thema ein. Manche Briefe beschäftigten sich mit dem «Sehen» oder Erfassen von Zahlen, manche mit dem Sinn oder der Bedeutung, die dieses Phänomen haben könnte, manche mit den Neigungen und Empfindungen von Autisten im allgemeinen und damit, wie man sie fördern oder ihnen entgegenwirken kann, und manche mit dem Thema «eineiige Zwillinge». Besonders interessant waren die Briefe von Eltern solcher Kinder, vor allem die Berichte jener Eltern, die durch die Umstände gezwungen waren, das Terrain auf eigene Faust zu erkunden, und denen es gelungen war, ihre Gefühle und ihre Betroffenheit mit einer großen Objektivität zu verbinden. Dies traf beispielsweise auf die Parks zu, die Eltern eines hochbegabten, aber autistischen Kindes (siehe C. C. Park 1967 und D. Park 1974, 5.313-323). Dieses Kind, Ella Park, war eine talentierte Zeichnerin und besaß, besonders in frühen Jahren, ein stark ausgeprägtes Gefühl für Zahlen. Ella war fasziniert von der «Ordnung» der Zahlen, vor allem der Primzahlen.
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