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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Zielgerichtetes von ihnen aus, das im Original nicht so deutlich zum Ausdruck kam. Subjektivität, Absichtlichkeit, Dramatisierung - alle Kennzeichen dessen, was Richard Wollheim «Ikonozität» nennt, waren vorhanden. Ober die an sich schon bemerkenswerte Fähigkeit zum bloßen Kopieren hinaus schien Jose also über eine gut entwickelte Phantasie und Kreativität zu verfügen. Das Bild zeigte nicht irgendein, sondern sein Kanu.
    Ich schlug einen Artikel über Forellenfischen auf, der mit einem Aquarell illustriert war. Man sah einen Gebirgsbach, im Hintergrund Felsen und Bäume und im Vordergrund eine Regenbogenforelle, die nach einer Fliege schnappte. «Zeichne das», sagte ich und zeigte auf den Fisch. Jose betrachtete ihn genau, schien in sich hinein zu lächeln und wendete sich ab.
     
    Und dann zeichnete er mit offensichtlicher Freude und einem immer breiter werdenden Lächeln den Fisch so, wie er ihn sah.
    Während ich ihm zuschaute, mußte auch ich lächeln, denn jetzt, da er Vertrauen zu mir gefaßt hatte, zeigte er, was in ihm steckte, und der Fisch, der langsam Gestalt annahm, war nicht irgendein Fisch, sondern ein Fisch mit einer Art «Charakter».In der Vorlage hatte er nichtssagend, leblos, zweidimensional, ja ausgestopft gewirkt. Joses gekrümmter, emporschnellender Fisch dagegen erschien viel plastischer, viel echter als das Original. Er war nicht nur naturgetreuer und sozusagen lebendiger - es war noch etwas Ausdrucksvolles, wenn auch nicht gerade Fischartiges hinzugekommen: ein großes, höhlenartiges Maul, das mich an einen Wal denken ließ, eine an ein Krokodil erinnernde Schnauze und ein Auge, das menschlich war und das durch und durch schurkisch in die Welt blickte. Es war ein merkwürdiger Fisch kein Wunder, daß Jose gelächelt hatte-, eine Art Fischpersönlichkeit, eine Märchengestalt, wie der Froschlakai in (Alice im Wunderland).
    Jetzt hatte ich etwas Konkretes, das mir weiterhalf. Seine Uhrenzeichnung hatte mich überrascht und mein Interesse geweckt, ließ aber für sich allein keine weiteren Schlüsse zu. Mit dem Kanu hatte Jose gezeigt, daß er über ein beeindruckendes visuelles Gedächtnis, aber darüber hinaus noch über andere Fähigkeiten verfügte. Der Fisch bewies, daß Jose nicht nur eine lebhafte, ausgeprägte Phantasie und Sinn für Humor besaß, sondern auch etwas, das mit Märchenkunst verwandt war. Es handelte sich hier sicher nicht um «große Kunst» - sie war «primitiv», vielleicht auch kindlich, und doch ohne Zweifel eine Art von Kunst. Und Phantasie, Verspieltheit, Kunst ist das letzte, was man bei einem Verrückten, einem idiot savant oder einem Autisten erwartet. So jedenfalls lautet die vorherrschende Meinung.
    Meine Freundin und Kollegin Isabelle Rapin war Jose schon Jahre zuvor begegnet, als er wegen «unkontrollierbarer Anfälle» in die neurologische Kinderklinik gebracht worden war - und sie, mit ihrer großen Erfahrung, hatte keinen Zweifel daran gehabt, daß er «autistisch» war. Über Autismus im allgemeinen hatte sie geschrieben: «In einzelnen Fällen sind autistische Kinder überaus erfolgreich im Entziffern geschriebener Sprache und werden hyperlexisch oder beschäftigen sich ausschließlich mit Zahlen... Die frappante Fähigkeit mancher autistischer Kinder, Puzzles zusammenzusetzen, mechanisches Spielzeug auseinanderzunehmen oder Geschriebenes zu entziffern, ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß Aufmerksamkeit und Lernen übermäßig auf visuellräumliche Aufgaben gelenkt werden, die keinerlei Verbalisierung erfordern. Hierbei wird der Wunsch, die Sprache zu erlernen, außer acht gelassen, vielleicht, weil er nicht zum Ausdruck gebracht wird. »
    Ähnliche Beobachtungen, vor allem hinsichtlich des Zeichnens, schildert Lorna Selfe in ihrem Buch ‹Nadia› (1978). Anhand der verfügbaren Literatur stellte sie fest, daß alle Fähigkeiten und Darbietungen von idiots savants oder Autisten offenbar ausschließlich mit Berechnungen und Gedächtnisleistungen und nie mit etwas Persönlichem oder Phantasievollem zu tun hatten. Und wenn diese Kinder zeichnen konnten - was vermutlich nur sehr selten vorkam -, dann waren auch ihre Zeichnungen rein mechanisch. In der Literatur ist die Rede von «vereinzelten Begabungsinseln» und «bruchstückhaften Fähigkeiten». Eine individuelle oder gar kreative Persönlichkeit gesteht man ihnen nicht zu.
    Was für ein Wesen, so mußte ich mich fragen, war dann Jose? Was ging in ihm vor? Wie war er zu dem

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