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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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«Ausbruch» gehabt hätte und zum erstenmal in eine Klinik gebracht worden wäre. Im Keller war sein Innenleben nicht ganz erloschen. Er blätterte mit Begeisterung in Illustrierten, besonders solchen, die sich mit der Natur befaßten, und wenn er zwischen den Anfällen und den Vorhaltungen seiner Eltern dazu kam, suchte er sich einen Bleistiftstummel und zeichnete, was er in den Zeitschriften sah.
    Diese Zeichnungen waren wahrscheinlich seine einzige Verbindung mit der Außenwelt, besonders mit der Welt der Pflanzen und Tiere, mit der Natur, die ihm, vor allem wenn er mit seinem Vater Skizzen gemacht hatte, so sehr ans Herz gewachsen war. Dies, und nur dies, durfte er beibehalten, und es war der einzige Bezug zur Realität, der ihm geblieben war.
    Dies also war die Geschichte, die ich dort las und mir nach der Lektüre der Krankenblätter zusammenreimte. Was sie enthielten, war ebenso bemerkenswert wie das, was sie verschwiegen - es war die Dokumentation einer «Lücke» von fünfzehn Jahren: Die einzigen Angaben über diese Zeit stammten von einem Sozialarbeiter, der hin und wieder in Joses Elternhaus aufgetaucht war und Jose besucht hatte, ohne etwas für ihn tun zu können, und von seinen jetzt alten und gebrechlichen Eltern. Aber nichts davon wäre ans Licht gekommen, hätte Jose nicht einen plötzlichen, unerwarteten und beängstigend heftigen Wutanfall bekommen.
    Es war völlig unklar, was diesen Wutanfall hervorgerufen hatte: ob es sich um einen epileptischen Ausbruch handelte (wie man ihn in seltenen Fällen bei sehr schweren Schläfenlappen-Anfällen erlebt), ob es, wie es vereinfachend im Aufnahmeprotokoll hieß, lediglich eine «Psychose» war, oder ob es ein letzter verzweifelter Hilferuf einer gequälten, stummen Seele sein sollte, die keine andere Möglichkeit besaß, ihrer Not und ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen.
    Dagegen war deutlich, daß er durch seine Einlieferung in die Klinik und die Verabreichung neuer, starker Medikamente, die seine Anfälle «unter Kontrolle» brachten, zum erstenmal eine Art innerer und äußerer Freiheit genoß, daß er eine physische und psychische «Entlastung» erlebte, wie er sie seit seinem achten Lebensjahr nicht mehr erfahren hatte.
    Staatliche Nervenheilanstalten werden (um Erving Goffman zu zitieren) oft als «totale Institutionen» bezeichnet, deren Maßnahmen in erster Linie der Erniedrigung der Patienten gilt. Zweifellos ist dies sehr häufig der Fall. Doch sie können auch «Asyle» im besten Sinne des Wortes sein, und diesen Aspekt hat Goffman zuwenig berücksichtigt. Sie können Zufluchtsorte für gequälte, von inneren Konflikten aufgewühlte Seelen sein und genau jene Mischung von Ordnung und Freiheit bieten, die diese Seelen so dringend brauchen. Jose hatte nicht nur unter Verwirrung zu leiden gehabt - zum Teil durch seine Epilepsie, zum Teil durch die Auflösung seines Lebens bedingt -, sondern auch unter einer epileptischen wie existentiellen Eingeschlossenheit und Fesselung. Zu diesem Zeitpunkt seines Lebens war die Anstalt gut für ihn, rettete ihm vielleicht sogar das Leben, und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er dies deutlich spürte.
    Nach der dumpfen moralischen Enge seines Elternhauses stieß er hier plötzlich auf eine neue Welt, auf andere Menschen, die ein berufliches und auch persönliches Interesse an ihm zeigten, die nicht urteilten, keine ihn einengenden Moralvorstellungen vertraten, ihn nicht anklagten, die ihm Raum gaben und gleichzeitig ein echtes Gefühl für ihn und seine Probleme entwickelten. Daher schöpfte er zu diesem Zeitpunkt (er war jetzt vier Wochen in der Anstalt) neue Hoffnung; er wurde lebhafter und wendete sich anderen stärker zu, als er es je zuvor getan hatte jedenfalls seit jenem Zeitraum, als sein Autismus in seinem achten Lebensjahr offenbar geworden war.
    Aber Hoffnung, Zuwendung, Interaktion waren ihm «verboten» und sicher auch beängstigend schwierig und «gefährlich». Fünfzehn Jahrelang hatte Jose in einer abgeschirmten, verschlossenen Welt gelebt, einer Welt, die Bruno Bettelheim in seinem Buch über Autismus die «leere Festung» genannt
    hat. Für ihn war sie jedoch niemals ganz leer gewesen - es hatte in ihr immer seine Liebe zur Natur, zu Tieren und Pflanzen gegeben. Dieser Teil von ihm, dieses Tor war immer offen geblieben. Jetzt aber spürte er die Versuchung und den Druck der «Interaktion», und dieser Druck kam zu früh und war für ihn oft zu stark. Und dies war der Moment, wo

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