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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Tourettesche Syndrom mit sich bringt. » Er ist weniger schlagfertig und sprudelt nicht mehr über vor witzigen Tics und tickigen Witzeleien. Tischtennis oder andere Spiele machen ihm keinen Spaß mehr, und seine Leistungen dabei haben nachgelassen; er spürt nicht mehr «diesen über mächtigen Drang, zu gewinnen, den anderen zu schlagen»; sein Leben ist also weniger von Konkurrenzdenken, aber auch weniger vom Spielerischen geprägt als früher, und sein Drang, aber auch die Fähigkeit zu plötzlichen, «gewagten» Bewegungen, die jedermann überraschten, ist verschwunden. Er hat seinen obszönen, derben Wortwitz und seinen Schwung verloren. Immer mehr hat er das Gefühl, daß ihm irgend etwas abhanden gekommen ist.
    Musik war für ihn - als Ausdrucksmittel wie auch als Einkommensquelle - äußerst wichtig, und daher empfand er es als sehr gravierende Einschränkung, daß er unter dem Einfluß von Haldol zwar tüchtig, aber als Musiker einfallslos und durchschnittlich war. Es fehlte ihm die Energie, der Enthusiasmus, der überschäumende Ideenreichtum und die Freude, die er früher empfunden hatte. Er hatte keine Tics mehr und schlug nicht mehr zwanghaft auf die Trommeln ein - aber mit den genialen, kreativen Eingebungen war es ebenfalls vorbei.
    Nachdem er dieses Muster erkannt und mit mir darüber gesprochen hatte, traf Ray eine wichtige Entscheidung: An Werktagen wolle er «pflichtgetreu» Haldol nehmen, aber an den Wochenenden wolle er es absetzen und «sich gehenlassen».
    An diesen Entschluß hat er sich während der letzten drei Jahre gehalten, so daß es jetzt zwei Rays gibt - einen mit Haldol, und einen ohne. Von Montag bis Freitag ist er der nüchterne Bürger, der seine Entscheidungen bedächtig und mit Überlegung trifft; an den Wochenenden aber ist er der «Witty Ticcy Ray», der von gewagten, verrückten, genialen Einfällen nur so übersprudelt.
    Ray gibt freimütig zu, daß dies eine seltsame Situation ist: «Mit dem Touretteschen Syndrom ist das Leben wild und aus gelassen, so als wäre man die ganze Zeit betrunken. Mit Haldol ist es langweilig, man wird nüchtern und spießig. Aber in keinem der beiden Zustände ist man wirklich frei... Ihr ‹Normalen›, bei denen die richtigen Transmitter zur rechten Zeit an den richtigen Stellen im Gehirn sind, könnt euch immer alle Gefühle, alle Lebensstile aussuchen - ihr könnt schwer oder leicht sein, je nachdem, wie es die Situation erfordert. Wir können das nicht: Das Syndrom zwingt uns zu schweben, und Haldol zwingt uns, am Boden der Tatsachen zu kleben. Ihr seid frei, ihr befindet euch in einem natürlichen Gleichgewicht, aber wir haben nur ein künstliches und müssen das Beste dar aus machen.»
    Ray macht das Beste aus seiner Lage. Trotz des Touretteschen Syndroms, trotz Haldol, trotz der «Unfreiheit» und der «Künstlichkeit», und obwohl ihm das Recht auf die Freiheit, die die meisten von uns genießen, genommen worden ist, führt er ein erfülltes Leben. Aber er hat aus seiner Krankheit gelernt und ist gewissermaßen über sie hinausgewachsen. Man könnte mit Nietzsche sagen: «Und was die Krankheit angeht: würden wir nicht fast zu fragen versucht sein, ob sie uns überhaupt entbehrlich ist? Erst der Schmerz ist der letzte Befreier des Geistes. » Paradoxerweise hat Ray, der einer physischen Gesundheit beraubt war, eben durch das ihm auferlegte Schicksal eine neue Gesundheit, eine neue Freiheit gefunden. Er hat das erreicht, was Nietzsche gern die große Gesundheit nannte: Unerschrockenheit, geistige Beweglichkeit und einen ausgeprägten Sinn für Humor - und dies, obwohl oder gerade weil er am Touretteschen Syndrom leidet.
11
Amors Pfeil
    Natasha K., eine intelligente Frau von neunzig Jahren, kam vor nicht allzu langer Zeit in unsere Klinik. Kurz nach ihrem achtundachtzigsten Geburtstag habe sie «eine Veränderung» festgestellt, sagte sie. Wir fragten sie, was für eine Veränderung das gewesen sei.
    «Oh, eine herrliche!» rief sie. «Ich habe sie sehr genossen. Ich wurde lebendiger und unternehmungslustiger - ich fühlte mich wieder jung. Junge Männer interessierten mich. Ich fing an, mich, man könnte sagen: beschwingt zu fühlen - ja, beschwingt. »
    «Und das war problematisch?»
    «Nein, anfangs nicht. Es ging mir ja gut, sehr gut sogar - warum sollte ich glauben, daß irgend etwas nicht in Ordnung war?»
    «Und dann?»
    «Meine Freundinnen begannen, sich Sorgen zu machen. Zuerst sagten sie: «Du strahlst ja richtig - wie von neuem

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