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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Art «fehlendes Glied» zwischen Körper und Geist und liegt gewisser maßen zwischen Chorea und Manie. Wie bei den seltenen hyperkinetischen Fällen von Encephalitis lethargica und bei allen postenzephalitischen Patienten, die nach der Verabreichung von L-Dopa übererregt sind, scheinen Patienten, die am Touretteschen Syndrom oder infolge von Schlaganfällen, Hirntumoren, Vergiftungen oder Infektionen an «Tourettismus» leiden, über einen Überschuß an Erregungs-Transmittern im Gehirn, insbesondere an Dopamin, zu verfügen. Und so wie Parkinson-Patienten höhere Dopamin-Dosen brauchen, um aus ihrer Lethargie zu erwachen, so wie meine postenzephalitischen Patienten durch den Dopamin-Vorläufer L-Dopa «geweckt» wurden, so mußte bei übererregten und Tourette-Patienten der Dopamin-Spiegel mit Hilfe eines antagonistisch wirkenden Stoffes, zum Beispiel Haloperidol (Haldol), gesenkt werden.
    Andererseits kann man nicht einfach sagen, im Gehirn eines Tourette-Patienten herrsche ein Dopamin-Überschuß und im Gehirn eines Parkinson-Patienten ein Mangel an dieser Substanz. Wie bei einer Störung, die die Persönlichkeit verändern kann, nicht anders zu erwarten, gibt es darüber hinaus viel subtilere und weiter gestreute Abweichungen vom Normalen: Die zahllosen kleinen Pfade, die zur Anomalität führen, unter scheiden sich von Patient zu Patient und können bei jedem einzelnen sogar von Tag zu Tag eine andere Wendung nehmen. Die Verabreichung von Haldol ist eine Möglichkeit, das Tourettesche Syndrom zu behandeln, aber weder dieses noch ir gendein anderes Medikament kann ein Wundermittel sein, ebensowenig wie L-Dopa ein Wundermittel gegen die Parkinsonsche Krankheit ist. Zusätzlich zu jeder rein medikamentösen oder medizinischen Behandlung muß auch eine «existentielle» Behandlung vorgenommen werden; insbesondere ist ein einfühlsames Verständnis von Handlungsweisen, Spiel und künstlerischen Aktivitäten erforderlich, Tätigkeiten, die im wesentlichen gesund und frei von Zwängen sind und daher ein Gegengewicht zu den groben Trieben und Impulsen dar stellen, zu jener «blinden Gewalt des Subkortex», unter der diese Patienten leiden. Der bewegungsunfähige Parkinson Patient kann singen und tanzen, und wenn er das tut, ist er völlig frei von den Behinderungen seiner Krankheit, und ebenso ist ein übererregter Tourette-Patient, wenn er singt, spielt oder etwas aufführt, vollkommen von seinem Tourettismus befreit. Das «Ich» gewinnt die Oberhand und bezwingt das «Es».
    Es war mir vergönnt, mit dem großen Neuropsychologen A. R. Lurija zu korrespondieren - ein Kontakt, der von 1973 bis zu seinem Tod im Jahre 1977 bestand. Ich schickte ihm häufig Tonbänder und Beobachtungen, die das Tourettesche Syndrom betrafen. In einem seiner letzten Briefe schrieb er mir: «Dies ist wirklich von sehr großer Bedeutung. Jedes Verständnis eines solchen Syndroms wird unser Verständnis der allgemeinen menschlichen Natur ungeheuer vertiefen... Ich kenne kein anderes Syndrom, das ähnlich interessant wäre. »
    Als ich Ray zum erstenmal begegnete, war er vierundzwanzig Jahre alt und infolge zahlreicher, sehr heftiger Tics, die alle paar Sekunden in Schüben auftraten, fast außerstande, noch irgend etwas zu tun. Diese Tics hatte er seit seinem vierten Lebensjahr, und durch die Aufmerksamkeit, die sie erregten, hatte er es im Leben sehr schwer gehabt. Seine hohe Intelligenz, sein Witz, seine Charakterstärke und sein Realitätssinn ermöglichten es ihm jedoch, Schule und College erfolgreich abzuschließen. Er hatte eine Frau und einige Freunde, die ihn schätzten und liebten. Nach dem College hatte er jedoch ein Dutzend Arbeitsstellen verloren - und zwar nie wegen Unfähigkeit, sondern wegen seiner Ticsund befand sich ständig in
    irgendeiner Krise, gewöhnlich infolge seiner Ungeduld, seiner Streitlust und seiner derben Kaltschnäuzigkeit. Außerdem kam durch seine unwillkürlichen Ausrufe wie «Mist!», «Scheiße!» und dergleichen, die ihm entfuhren, wenn er sexuell erregt war, seine Ehe in Gefahr. Er war (wie viele Tourette-Patienten) sehr musikalisch und hätte - sowohl emotional als auch wirtschaftlich wohl kaum überlebt, wäre er nicht an den Wochenenden als virtuoser Schlagzeuger in einer Jazz Band aufgetreten. Er war berühmt für seine plötzlichen und wilden Ausfälle, die aus einem Tic, etwa in Gestalt eines unwillkürlichen Schlags auf die Trommel, entstanden. Diesen arbeitete er dann zu einer herrlichen,

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