Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
Vom Netzwerk:
unterzeichnen. Doch die Geduld des Richters war erschöpft, ihm fehlten die Worte. Selbst die Fliege im Lampengehäuse war verstummt. Insgeheim hatte ich gehofft, der Richter würde so etwas sagen wie: »Das ist zwar eigentlich nicht gestattet, aber unter den gegebenen Umständen sieht sich das Gericht gezwungen, Vaughan und Madeleine zu zweiten Flitterwochen in der Karibik zu verurteilen, wo sie am Strand in einer Hängematte schaukeln und die Sterne betrachten werden und Mrs. Vaughan sich von Neuem in ihren Mann verlieben wird.«
    Stattdessen rüffelte er meinen Anwalt, weil der es unterlassen hatte, seinen Mandanten zu fragen, ob er auch tatsächlich geschieden werden wolle, und nannte die Verhandlung »ein Fiasko«. Aus Zeitgründen bleibe ihm leider nichts anderes übrig, als die Sitzung zu vertagen. Das Gericht werde zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zusammentreten, und er hoffe inständig, bis dahin seien wir zu einer Einigung gelangt. Mich erfasste eine Welle der Euphorie, die jedoch im Nu verebbte, als ich sah, wie Maddy in Tränen ausbrach und zur Tür hinausstürzte, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ihr Anwalt scharwenzelte ihr hinterdrein und versicherte ihr unentwegt, wie großartig es doch gelaufen sei.
    Mr. Cottington hingegen war am Boden zerstört. Er strafte mich mit Schweigen, verstaute wortlos seine Unterlagen in seiner Aktentasche und verließ den Saal, gefolgt von seinen Referendaren und Gehilfen. Der Richter war bereits gegangen, und so saß ich einen Augenblick lang still und stumm auf meinem Stuhl und versuchte zu begreifen, was ich da gerade getan hatte.
    »Also, ich mache diesen Job jetzt schon seit über zwanzig Jahren, aber so etwas habe ich noch nie erlebt«, sagte die Schriftführerin.
    Ich lächelte gequält. »Ich finde, wir sollten uns einfach hundertprozentig sicher sein«, stieß ich mühsam hervor, »bevor wir den Knoten endgültig zerschlagen.«
    »Stimmt.« Die Schriftführerin rückte die Stühle zurecht. »Die meisten Leute sind sich ziemlich sicher, wenn sie hierherkommen.«
    Ich schämte mich und kam mir albern vor. Einerseits wäre ich Maddy am liebsten hinterhergeeilt, andererseits hatte ich keine Lust, mich ihrem Zorn auszusetzen, an den ich mich vor ein paar Minuten erst erinnert hatte. Ich saß da, starrte blind vor mich hin und fragte mich, wie es nun weitergehen sollte.
    Die Schriftführerin hatte ihre Sachen zusammengeklaubt. »Das war die letzte Verhandlung vor der Mittagspause, und ich kann Sie leider nicht allein hier sitzen lassen.«
    »Natürlich«, sagte ich. »Aber – dürfte ich das Lampengehäuse da oben vielleicht kurz öffnen? Eine fette Fliege ist darin gefangen und spielt schon die ganze Zeit verrückt.«
    »Ach. Dafür ist eigentlich der Hausmeister zuständig … aber ja, meinetwegen. Ich glaube, es lässt sich an der Seite aushängen.«
    »Ach ja, da. Ich seh’s.«
    Und so stieg ich auf einen Stuhl, öffnete das Lampengehäuse und wartete darauf, dass das anmutige Insekt in die wohlverdiente Freiheit entfleuchte. Stattdessen plumpste es schwerfällig zu Boden und drehte sich laut brummend im Kreis.
    »Igitt, die ist ja riesig«, sagte die Schriftführerin, trat zu der halbtoten Fliege und machte dem Sirren und Summen ein jähes Ende, indem sie ihren mächtigen Fuß auf das Insekt niedersausen ließ und es unter ihrer Sohle zerquetschte.
    »So«, sagte sie lächelnd. »Viel Glück mit Ihrer Ehe – ansonsten sehen wir uns in acht Wochen wieder. Gleiche Stelle, gleiche Welle …«

8. KAPITEL
    Maddy und ich sitzen im Zug. Es gibt noch keine Handys, denn niemand schreit: »Ich sitze im Zug!« Wir haben vor Kurzem unser Studium beendet und betrachten eine lange Eisenbahnfahrt mitnichten als willkommene Gelegenheit zur Lektüre eines guten Buches. Ein Zug ist für uns vielmehr ein Pub auf Schienen. Ich finde zwei perfekte Plätze im Raucherabteil, was die Kneipenatmosphäre noch verstärkt.
    Wir machen es uns bequem, und ich hole genügend Getränke für die ganze Reise; etwa eine Stunde später geht Maddy in den Speisewagen und kauft den Proviant, auf den ich großzügig verzichtet habe. Aber sie braucht viel länger als ich, und ich schaue den Gang entlang, um zu sehen, wo sie bleibt. Sie ist immer noch verschollen, als eine Durchsage über Lautsprecher kommt.
    »Verehrte Fahrgäste …« (Damals hießen wir noch »Fahrgäste«; erst später wurden wir zu »Kunden« degradiert, damit wir noch ungehaltener reagieren können, wenn wir nicht

Weitere Kostenlose Bücher