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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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lang verheiratet waren und uns seit zwanzig Jahren kennen. Trotzdem kommt es mir vor, als würden wir zum allerersten Mal miteinander sprechen.«
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und sie starrte mich misstrauisch an.
    »Willst du mich verarschen?«
    »Nein. Das ist die Wahrheit. Du kannst im Krankenhaus anrufen …«
    »Unsinn. Ich habe keine Ahnung, was du im Schilde führst, aber dieses Haus bekommst du nicht!« Wenn sie sich aufregte, verfiel sie unwillkürlich in ihren Heimatdialekt; ein leichter Liverpooler Akzent, den ihr selbst zwei Jahrzehnte im Süden Englands nicht hatten austreiben können.
    »Gary hat mir erzählt, dass wir uns scheiden lassen wollten, auch wenn ich keine Ahnung habe, warum. Die Ärztin sagt, der Stress, dem ich im Zusammenhang mit unserer Trennung ausgesetzt war, könnte die Fugue ausgelöst haben.«
    »Der Stress, dem du ausgesetzt warst? Du warst doch nie da, wenn es hier Stress gab; du hast entweder Überstunden gemacht oder bei Gary an irgendwelchen Scheißcomputern rumgebastelt, während der ganze Stress an mir hängen blieb, und glaub mir, das habe ich nicht vergessen.«
    »Eine wunderschöne Küche. Richtig gemütlich.«
    »Vaughan, was soll der Quatsch? Und warum tätschelst du den Hund, du weißt doch, dass er das nicht …«
    »Nein, das weiß ich nicht ! Bis vor ein paar Tagen hatte ich ein Plastikarmband mit der Aufschrift ›Unbekannte Person männlichen Geschlechts‹ ums Handgelenk. Siehst du, hier? Und die Blechmarke um meinen Hals? Da stehen mein Name und die Kontaktdaten des Krankenhauses drauf, falls mein Hirn noch einmal alles löscht und ich orientierungslos durch die Straßen irre und nicht weiß, wohin ich gehen und wen ich anrufen soll.«
    Sie hatte mir einen Tee gekocht und knallte den Becher wortlos vor mir auf den Tisch.
    »Hast du Zucker?«, fragte ich.
    »Du nimmst keinen Zucker.«
    »Das hat Gary auch gesagt. Und dass ich Raucher war.«
    Sie beugte sich vor und schnupperte an mir. »Ich wusste doch, dass mit dir irgendwas nicht stimmt. Du stinkst nicht nach kaltem Rauch. Ich hätte nie gedacht, dass du dir das noch mal abgewöhnst.«
    »Ich habe es mir nicht abgewöhnt. Aber mit meinen Erinnerungen ist auch meine Sucht verschwunden.«
    Sie stand mit verschränkten Armen gegen die Spüle gelehnt, und ich sah ihr an, dass sie sich fragte, warum ich mir eine derart abstruse Geschichte ausdenken sollte. Dann zog sie ihr Handy aus der Tasche und rief Linda an. Im Laufe des Gespräches wurden ihre Augen immer größer, und die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Als sie aufgelegt hatte, sank sie schwerfällig auf einen Küchenstuhl und starrte mich an.
    »Das ist wieder mal typisch für dich!«
    »Was?«
    »Der ganze Mist bleibt an mir hängen, und du ziehst einfach einen Schlussstrich und vergisst alles …«
    »Hm. Tut mir leid.«
    »Meine Güte, wie werden die Kinder darauf reagieren? Schlimm genug, dass wir uns getrennt haben, aber das heißt ja – dass ihr eigener Vater sie nicht kennt!«
    Sie schien den Tränen nahe, und ich hätte sie gern getröstet, doch ihre Körpersprache ließ kaum einen Zweifel daran, dass sie nicht in den Arm genommen werden wollte.
    »Die Ärzte meinen, ich könnte durchaus wieder ganz gesund werden – auch wenn sie nicht recht zu wissen scheinen, was mit mir los ist.«
    »Sie kommen in ein paar Stunden aus der Schule. Was soll ich ihnen sagen? Sie dürfen dich auf keinen Fall hier sehen – den Schock würden sie ihr Lebtag nicht verwinden.«
    »Wie du meinst. Du weißt, was für sie das Beste ist – ich nicht.«
    »Ja, in der Beziehung hat sich nichts verändert.« Als sie aufblickte und mich etwas verloren in ihrer Küche stehen sah, stimmte sie das ein wenig milder. »Tut mir leid. Aber …«
    »Schon gut. Wo steht der Mülleimer?«
    »Wo er immer steht. Äh, in dem Schrank unter der Spüle. Daran werde ich mich nie gewöhnen …«
    »Ach, das ist ja raffiniert – der Deckel klappt hoch, wenn man die Schranktür aufzieht. Wirklich eine wunderschöne Küche.«
    »Ich hatte vor Gericht von Anfang an den Eindruck, dass mit dir etwas nicht stimmt. Du hast die ganze Zeit zu mir herübergesehen und gewinkt.«
    »Tut mir leid, aber normalerweise lernt man seine Frau kennen, bevor man von ihr geschieden wird.«
    »Gott, du standest unter Eid – du hast geschworen, die Wahrheit zu sagen.«
    » Habe ich doch – ich habe gesagt, ich könnte mich nicht erinnern.«
    »Also … verstehe ich das richtig? Du kannst dich buchstäblich

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