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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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Gehirns ausradiert, der diesen Witz verstanden hätte. Es gab gleich mehrere Karten mit der Aufschrift Tut mir leid, dass ich deinen Geburtstag vergessen habe , aber auf keiner stand, weil ich an einer unglaublich seltenen neurologischen Störung leide, die in Fachkreisen gemeinhin als dissoziative Fugue bezeichnet wird .
    Ich schrieb Dillie, dass ich sie gern ausführen und ihr ein Geburtstagsgeschenk kaufen würde, und auch das erst, nachdem ich auf der Suche nach Inspiration stundenlang durch das Gängelabyrinth eines Spielzeugkaufhauses geirrt war. Ich legte ein kleines Passfoto in die Karte, damit der Anblick ihres bartlosen Vaters im Anzug den Kindern keinen allzu großen Schreck einjagte. Falls sie ihn überhaupt erkannten. Insgeheim konnte ich immer noch nicht fassen, dass wir uns schon einmal begegnet waren.
    Als ich von der Post zurückkam, stand Linda in der Küche und rührte in einem Topf. Sie wandte den Kopf, stieß einen spitzen Schrei aus und versuchte, sich des Eindringlings zu erwehren, indem sie mit einem Kochlöffel, von dem Lauch-Kartoffel-Suppe tropfte, blindlings auf ihn eindrosch.
    »Linda! Ich bin’s!«
    »Verfluchte Scheiße, Vaughan – du siehst völlig verändert aus.«
    »Jetzt hast du mir meinen neuen Anzug versaut!«
    »Tut mir leid, ich habe dich nicht erkannt. Wo ist der Bart geblieben? Gott, siehst du schick aus! Jedenfalls bis vor zwei Minuten …« Sie nahm mein Jackett und wischte es sauber, als Gary zur Tür hereinkam.
    »Alles klar?«
    »Na, was meinst du?« Linda sah ihren Mann erwartungsvoll an.
    »Äh – zu deiner neuen Jacke?«
    »Nein – zu Vaughan.«
    »Hä?«
    »Er hat sich den Bart abrasiert!«
    »Ah ja, jetzt seh ich’s auch. Ich dachte, er hätte sich zur Abwechslung mal gewaschen.«
    »Und der Anzug?«
    »Ach ja. Natürlich, am Montag ist ja der große Tag. Dein erster Arbeitstag …«
    Ich hatte in der Tat beschlossen, an meinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren. Mein Instinkt hatte mir gesagt, dass es meiner ohnehin angegriffenen Gesundheit nicht eben zuträglich sei, wenn ich von morgens bis abends in Garys und Lindas Wohnung hockte und Däumchen drehte.
    »Davon weiß ich ja noch gar nichts, Gary«, blaffte Linda wütend. »Warum hast du mir nichts davon gesagt? Du erzählst mir nie etwas.«
    »Das kann ja wohl nicht stimmen. Wenn ich dir nie etwas erzählen würde, wüsstest du ja noch nicht mal, wie ich heiße, geschweige denn …«
    Die Sirenen heulten, und die Leute strömten in hellen Scharen in die Luftschutzbunker. Ein massiver Ehekrach war im Anflug. Der Mann, der mir noch vor Kurzem einen langen Vortrag über eheliche Auseinandersetzungen gehalten hatte, musste seine Thesen nun dem Praxistest unterziehen. Es hatte so kommen müssen. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis das traute Paar dem Gedächtnis ihres Gastes dadurch auf die Sprünge zu helfen versuchte, dass es mir live und in Farbe vor Augen führte, warum Maddy und ich uns getrennt hatten.
    Es gibt kaum etwas Peinlicheres, als einem erbitterten persönlichen Disput zwischen Mann und Frau beiwohnen zu müssen. In einer solchen Situation bleibt einem wenig anderes übrig, als ausgiebig den Fußboden zu inspizieren, sich taub zu stellen und den Mund zu halten, während man denkt: »Autsch, das hätte ich an deiner Stelle lieber nicht gesagt«, und dann: »O Gott, das allerdings auch nicht – das macht ja alles nur noch schlimmer!«
    In jeder Ehe gibt es einen San-Andreas-Graben, und noch das leiseste Beben, die unmerklichste Erschütterung entspringt dieser tiefen Verwerfung unter der Beziehungsoberfläche. Sätze wie: »Du hast mich nur geheiratet, weil ich schwanger war« oder: »Du bist nie für mich da, wenn ich dich wirklich brauche« können zu gelegentlichen Ausbrüchen führen, zumeist aber bleiben diese ungeheuren Kräfte unter Verschluss. Bisweilen jedoch fängt das Geschirr sozusagen aus heiterem Himmel an zu vibrieren, ein Familienfoto fällt von der Wand, und ehe man sich’s versieht, sind die Kontinentalplatten kollidiert, und das Geschrei erreicht einen Wert von 8,2 auf der nach oben offenen Richterskala.
    Man brauchte wahrhaftig kein Psychologieprofessor zu sein, um dahinterzukommen, dass der zentrale Bruch, der sich durch Garys und Lindas Ehe zog, darauf zurückzuführen war, dass Gary sich nicht halb so sehr auf Baby/ das Baby zu freuen schien wie Linda. Zwar hatte es in der Menschheitsgeschichte durchaus den einen oder anderen Mann gegeben, der für die

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