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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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den Tunnel in die Freiheit zu entkommen, nur um feststellen zu müssen, dass die Röhre ein paar Meter weiter in die Halle zurückführte und sie ausspie in ein tiefes Becken am Fuß ebenjener Treppe.
    Die schwüle Luft und das widerhallende Gewirr von Stimmen und Geräuschen waren überwältigend, und ich stand einfach da und versuchte, mich an die Atmosphäre zu gewöhnen. Als plötzlich eine schrille Sirene losging, hoffte ich schon auf einen Feueralarm, doch stattdessen schnappten die Kinder sich jeder ein Bodyboard und stellten sich artig an, um zu einer nicht besonders echt wirkenden, mit Plastikpalmen und angeschwemmten Klebepflastern gespickten Sandbank hinüberzusurfen. Dillie und Jamie wollten sich »am Strand« mit mir treffen, nachdem sie ihre Lieblingswasserrutsche hinuntergesaust waren. Als sie kamen, stand ich, verdächtig trocken, an einen Killerwal-Papierkorb gelehnt. Wir einigten uns darauf, dass meine erste Unterrichtsstunde im sogenannten Kaulquappen-Becken in der hintersten Ecke der Halle stattfinden sollte, wo eine Handvoll Drei- und Vierjähriger mit ihren übereifrigen Eltern und einem aufblasbaren Weißen Hai herumplanschten, der mir bei näherem Hinsehen mitteilte, er sei »zur Lebensrettung nicht geeignet«.
    Das warme Wasser im Anfängerbecken reichte mir gerade einmal bis zu den Schenkeln. Damit es nicht gar zu peinlich wurde, beschloss ich, mich hinzusetzen, während die Kinder überlegten, wie die erste Schwimmstunde ihres Vaters vonstatten gehen sollte.
    »Wir könnten ihn von unten festhalten, während er mit den Füßen strampelt«, schlug Jamie vor.
    »Ja, genau so hat er es bei mir auch gemacht. Oder in dem Korb da drüben liegen aufblasbare Schwimmflügel. Könnte er die nicht anziehen?«
    »Schhh – kommt nicht in Frage«, protestierte ich. »Die sind für Drei- bis Fünfjährige.«
    »Im Anfängerbecken dulde ich keine Widerworte!«, erklärte Dillie.
    »Genau, also sei schön brav, und wenn du ganz tapfer bist, kaufen wir dir hinterher ein Eis!«
    Die Kinder schienen diese Verkehrung der Machtverhältnisse urkomisch zu finden. Eine Mutter sah zu uns herüber, und ich tat, als würde ich meine etwas zu groß geratenen Kinder beaufsichtigen, die eigentlich längst hätten schwimmen können müssen.
    »Und es wird nicht wieder in den Pool gepullert!«, sagte Dillie etwas zu laut.
    »Schon gar nicht vom Fünfmeterbrett!«
    Sie lachten sich fast kaputt. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie sich solche Demütigungen hatten gefallen lassen müssen, als ich ihnen das Schwimmen beigebracht hatte.
    »Also, wie machen wir’s?«, erkundigte ich mich, während ein Vierjähriger souverän an mir vorbeischwamm.
    »Ähm … warum stößt du dich nicht einfach vom Beckenrand ab, vielleicht fällt es dir dann ja wieder ein?«, schlug Jamie vor.
    »Was?«
    »Du strampelst einfach mit Armen und Beinen, vielleicht klappt’s ja.«
    »Wie bitte? Und das nennt ihr Schwimmunterricht?« Meine Kinder hatten sich in einen Lehrfilm aus den Dreißigerjahren zum Thema »Erziehung leicht gemacht« verwandelt. Heute: Wie bringe ich jemandem das Schwimmen bei? 1. Werfen Sie den Nichtschwimmer ins Wasser. 2. Alles Weitere ergibt sich von selbst.
    Doch dann wurde mir klar, dass eine eigentlich recht simple Logik dahintersteckte: einfach vom Beckenrand abstoßen, womöglich kehrte die Erinnerung dann ja zurück.
    »Na gut. Überredet. Auf die Plätze …«
    »Fertig!«
    »Hoffen wir das Beste …«
    »Los!«
    Ich sank vornüber ins Wasser. Obwohl ich mich in der ungewohnten Umgebung nicht eben wohlfühlte, schloss ich die Augen und bot den Untiefen des Kaulquappen-Planschbeckens mutig die Stirn. Ich streckte die Hände aus, um mich abzustützen, und stellte fest, dass ich den Beckengrund berühren konnte. Ich stieß mich ab, begann unwillkürlich mit den Armen zu rudern, winkelte die Beine an, und siehe da, ich bewegte mich vorwärts und ging auch nicht unter. Ich schwamm! Ich konnte tatsächlich schwimmen – ganz instinktiv, als wäre es die natürlichste Sache der Welt.
    Ich hörte, wie die Kinder jubelnd Beifall klatschten, aber ich wollte noch nicht aufhören, deshalb schwamm ich zum Ende des Beckens, wendete und stieß mich ab, attackierte das Wasser mit kraftvollem Kraulschlag und drehte bei jedem dritten Zug den Kopf zur Seite, um Luft zu holen; schon hatte ich das andere Ende erreicht. Ich legte eine makellose Rollwende hin, stieß mich ab und pflügte durchs Wasser. Brust, Rücken, ja sogar

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