Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
Vom Netzwerk:
Schmetterling – alles war noch da, das gesamte Repertoire. Ich war ein Alphamännchen, ein Macho-Schwimmer. Unbeirrt zog ich meine Bahnen, trieb meinen Körper an die Grenze der Belastbarkeit – und hielt erst inne, als ich den Bademeister bemerkte, der mit hochrotem Kopf in seine Trillerpfeife blies. Als ich mich aufrichtete, sah ich, dass die anderen Eltern ihre verängstigte, beschwimmflügelte Brut umklammerten und mich erbost anstarrten.
    »Ey, Mann, das ist das Kinderbecken«, sagte der junge Australier.
    »Ich kann schwimmen!«, verkündete ich stolz.
    »Ja, das sehe ich. Wenn Sie unbedingt schwimmen wollen, dann gehen Sie gefälligst ins Erwachsenenbecken, Sie Idiot.«
    Das Mittagessen mit meinen Kindern werde ich so schnell nicht vergessen. Die Gourmetführer waren sich noch uneins, wie viele Sterne dieses noble Etablissement verdient hatte, aber es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch sie dem lässig-eleganten Charme der Burgerbraterei im Splash-City-Erlebnispark verfallen waren. Um den Gästen keine allzu langen Wege zuzumuten, lag das Lokal direkt am Pool, weshalb man hier traditionell in informeller Einheitskleidung, bestehend aus einer feuchten Badehose und sonst gar nichts, zu dinieren pflegte. In keinem anderen Restaurant der Welt konnte man die modernen Essgewohnheiten und ihre verheerenden Folgen für den menschlichen Körper so ungeniert unter die Lupe nehmen. Die schier endlose Parade der bloßen und zumeist überaus beleibten Leiber der Stammkunden bot einen ungemein charmanten Anblick. Gewiss, Michelin-Sterne suchte man hier vergebens, dafür herrschte an leibhaftigen Michelin-Männchen wahrlich kein Mangel: Ihre prallen Bäuche quollen über ihre knappen Speedos, während sie Whopper mit Pommes frites in sich hineinstopften. Nach dem Essen legten sie sich an den »Strand«, wo ein Team von Greenpeace-Aktivisten sie fürsorglich mit Wasser übergoss und ins offene Meer zurückzulotsen versuchte.
    »Ich hätte gern einen Hamburger und, äh, eine Portion Fritten und dazu, äh, eine Limonade.«
    »Sie möchten ein Menü?«
    »Nein danke. Der Burger genügt …«
    Hastig übernahmen die Kinder die Bestellung und taten, als würden sie mich nicht kennen.
    »Ziehst du wieder aus, wenn Mum zurückkommt?«, fragte meine Tochter traurig, als sie sich endlich von ihrem riesigen Vanille-Schokoladen-Shake loseisen konnte.
    »Dillie! Halt’s Maul!«
    »Schon gut, Jamie.«
    Ich errötete innerlich vor Genugtuung über diese Frage. Meine Tochter wollte mir offenbar mitteilen, dass es ihr lieber wäre, wenn ich wieder zu Hause wohnte.
    »Weil ich hab gedacht, du könntest ja in die Gartenlaube ziehen.«
    »Halt’s Maul, Dillie!«
    »Das ist wirklich sehr lieb von dir, aber wenn ein Paar sich scheiden lässt, lebt es normalerweise getrennt. Ich suche schon seit einiger Zeit nach einer kleinen Wohnung in eurer Nähe – leider ist die Gegend ziemlich teuer. Aber egal wo ich wohne, wir werden uns auf jeden Fall häufig sehen.«
    »Ich will aber, dass du wieder nach Hause kommst«, sagte meine Tochter unumwunden.
    »Das freut mich wirklich sehr …« Mein Lächeln verflog im Nu, als ich Jamies grollende Miene bemerkte.
    »Nein! Ohne mich!«, blaffte er. »Dann schreit ihr euch bloß wieder dauernd an …«, und die Tränen liefen ihm über das gerötete Gesicht. Sein weißer Plastikstuhl fiel um, als er aufstand und erbost von dannen zog.
    »Jamie, Jamie, komm zurück!«
    Ich wusste nicht, ob ich aufspringen und ihm nachlaufen oder ihm lieber etwas Zeit lassen sollte, sich wieder zu beruhigen. Dass Dillie die Gelegenheit dazu benutzt hatte, ihm seine Fritten zu stibitzen, machte die Sache nicht eben leichter.
    »Lass das, Dillie. Er leidet so schon genug.«
    »Wenn man vom Tisch aufsteht, heißt das, dass man fertig gegessen hat. Hast du selbst gesagt …«
    Ich schaute zu, wie mein Sohn einmal um das Schwimmbecken herummarschierte und seine Schritte zusehends langsamer wurden, bis er sich schließlich niederließ und so wütend dreinschaute, wie es eben geht, wenn man auf einem Plastikkraken sitzt. Ich beobachtete ihn eine Weile und bemerkte, dass er von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick in unsere Richtung warf. Inzwischen waren die Fritten fast kalt, und zum Wegwerfen waren sie eigentlich zu schade. Halbherzig versuchte ich, Dillie zu erklären, weshalb sie nach dem Mittagessen nicht direkt wieder ins Wasser gehen sollte, mochte aber selbst nicht so recht an dieses alte Ammenmärchen glauben.

Weitere Kostenlose Bücher