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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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mit einem verschwörerischen Blick auf Maddys Bauch hinzu. Und nachdem Großtante Brenda die Runde gemacht hat, muss Maddy sich alle naslang höflich für das Kompliment bedanken, sie sehe aus »wie das blühende Leben«, immer wieder vehement bestreiten, dass sie doch »bestimmt todmüde« sei, und ein über das andere Mal beteuern, sie brauche keineswegs »für zwei« zu essen.
    An das absurde Gerücht, dass Maddy »guter Hoffnung« sei, konnte ich mich deshalb so gut entsinnen, weil wir uns noch Jahre später königlich darüber amüsierten. In meiner Erinnerung war aus einer Reihe unzusammenhängender Gespräche eine komische Anekdote geworden. Maddy und ich hatten sie zu einer Erzählung verknüpft, die schließlich zur lauteren Wahrheit mutiert war. Normalerweise lag meinen stärksten Erinnerungen stets eine Geschichte zu Grunde, die sich entweder tatsächlich so zugetragen hatte oder erst durch Nacherzählen zu ihrer endgültigen Form gelangt war.
    Das galt vermutlich auch für die anderen Hochzeitsszenen, an die ich mich entsinnen konnte, da die verschiedenen Einzelbilder in meiner Erinnerung ineinanderflossen und zu einer Art Best-of-Zusammenschnitt verschmolzen. Ich sah, wie Maddy mit meinem Vater einen Walzer tanzte und er sie mit der vollendeten Grazie eines Turniertänzers alter Schule über den abgewetzten Dielenboden wirbelte. Ich sah einen schon ziemlich angetrunkenen Gary, der den versammelten Gästen den »Ententanz« vorführte, obwohl der DJ gerade Oasis spielte. Und ich sah Maddy, die mich lange und innig umarmte, bevor wir am Ende des Abends in den Wagen stiegen. Die Trauung und das große Fest hätten wir uns eigentlich sparen können; die Umarmung war mir Beweis genug, dass sie mich liebte und ihr Leben mit mir verbringen wollte.
    In einer Hinsicht jedoch hatten wir uns an die Tradition gehalten: Maddy und ihr Vater hatten das Trauzimmer als Letzte betreten. Vor dem Standesamt war sie von einem jungen Anwalt aufgehalten worden, der ihr mit ernster Miene einen mit Siegelwachs verschlossenen Umschlag überreicht und sie dringend ersucht hatte, den Brief zu öffnen und zu lesen, bevor sie mir das Jawort gab. Die Hochzeitsmusik spielte bereits, als Maddy den Umschlag mit nervösen Fingern aufriss. Gab es ein Ehehindernis? Hatte ihr Zukünftiger schon eine Frau? War ihr Bräutigam ein illegaler Einwanderer, ein Betrüger, ein entflohener Häftling? Endlich hatte sie das Mistding auf und zog den Inhalt heraus. Es war eine Postkarte mit dem Bild eines versoffenen Kobolds, der ihr »einen schönen guten Morgen« wünschte.
    Während der Computertomograf brummte und sirrte, stand Dr. Lewington vor diesem riesigen Sarkophag und forderte mich auf, an eine wichtige Begebenheit zu denken, derer ich mich bislang nicht hatte entsinnen können. Ich versuchte, mir meine Mutter vorzustellen, durchforstete mein Gedächtnis nach dem Augenblick, als ich von ihrem Tod erfahren hatte, und nach ihrer Beerdigung, bei der ich, Maddy und vermutlich auch die Kinder zugegen gewesen waren. Jetzt sah ich mich, wie ich auf einem kleinen Dorffriedhof stand und eine Handvoll Erde auf den hölzernen Sarg hinabwarf. Es war ein gestochen scharfes Bild – eine Schar schwarz gekleideter Trauergäste säumte das Grab, und irgendwo läutete einsam eine Kirchenglocke. Fast war ich geneigt zu glauben, dass es sich haargenau so zugetragen hatte, nur wusste ich natürlich längst, dass meine Mutter in einem großen Londoner Krematorium eingeäschert worden war. Obwohl es sich also um eine reine Erfindung handelte, fand ich es irgendwie tröstlich, mich an diese klassische Begräbnisszene klammern zu können.
    Nun sollte ich mich an eine Episode erinnern, die ich erst teilweise rekonstruiert hatte. Ich hatte mich absichtlich für den niederschmetterndsten Moment entschieden, an den ich mich entsinnen konnte, als größtmöglicher Kontrast zu den bittersüßen Reminiszenzen an meine Hochzeit, und Dr. Lewington schon vor der Untersuchung mitgeteilt, dass ich daran denken würde.
    Es war der Tag, an dem Madeleine mir eröffnet hatte, dass sie sich von mir trennen wollte. Ich verstand zwar nicht ganz, weshalb, aber die Erinnerung war durchtränkt mit einer Mischung aus Frustration, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Wut.
    Maddy und ich wollen ins Bett, und obwohl wir aus irgendeinem Grund beide ziemlich gereizt sind, schaffen wir es nicht, uns in dem winzigen Badezimmer aus dem Weg zu gehen. Ich versuche zaghaft anzudeuten, dass ich einen sehr

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