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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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Kindern einen Abschiedskuss zu geben. Madeleine folgte mir in den Flur und redete unablässig auf mich ein, während ich zur Tür marschierte und meinen alten Mantel überstreifte, der an der Garderobe hing.
    »Ähm … das ist Ralphs Mantel«, murmelte Maddy.
    »Was? Nein, das ist meiner – ich habe ihn die ganze Woche angehabt.«
    »Nein – er gehört Ralph. Er hat ihn hier vergessen. Aber er hat sicher nichts dagegen, wenn du ihn dir leihst …«

15. KAPITEL
    »So, Freunde. Ich freue mich, wieder bei euch zu sein. Heute werden wir über die Ursachen des Zweiten Weltkriegs sprechen«, prophezeite ich etwas zu optimistisch. »Wenn mich nicht alles täuscht, hat Ms. Coney, die mich in meiner Abwesenheit vertreten hat, den Versailler Vertrag mit euch durchgenommen, der im Deutschland der Zwanzigerjahre verständlicherweise auf heftige Ablehnung stieß, heute aber wollen wir uns der Frage widmen, wie eine extreme Wirtschaftslage zu politischem Extremismus …«
    »Sir! Mr. Vaughan, Sir?«
    »Ja, Tanika?« Ich war stolz, ihnen demonstrieren zu können, wie locker ich ihre Namen aus dem Ärmel schüttelte. Ich hatte reichlich Zeit und Mühe darauf verwandt, mir Schulfotos von pickeligen Gesichtern anzusehen und die dazugehörigen Namen auswendig zu lernen. »Möchtest du eine Frage zur Hyperinflation in der Weimarer Republik stellen?«
    »Nicht zwingend. Haben Sie ’nen Schaden?«
    »Wie bitte?«
    »Dean hat gesagt, Sie hätten ’nen Dachschaden und wüssten nicht mehr, was abgeht, oder irgend so ’n Scheiß.«
    »Also, zunächst einmal wäre ich dir dankbar, wenn du dieses Wort im Unterricht nicht mehr …«
    »Welches – ›Dachschaden‹?«
    »Ja, das auch, aber ich dachte eigentlich eher an den Fäkalausdruck. Und um deine Frage zu beantworten: Es ist kein Geheimnis, dass meine Abwesenheit im letzten Halbjahr darauf zurückzuführen ist, dass ich an einer seltenen neurologischen Störung leide, von der ich mich allerdings zusehends erhole und die mich in keiner Weise daran hindert, euch etwas über Aufstieg und Niedergang der Weimarer Republik beizubringen.«
    Ich tippte auf einen Link am Smartboard und nahm mit Genugtuung zur Kenntnis, dass es tatsächlich das Bild eines 1 000 000-Mark-Scheins anzeigte.
    »Ja, aber haben Sie jetzt einen an der Klatsche oder nicht?«
    »Nein, Tanika, ich habe keineswegs einen an der Klatsche , wie du dich auszudrücken beliebst.«
    »Aber irgendwie durchgeknallt sind Sie schon, oder? Heulen Sie den Mond an und so?«
    »Nein, wenn ihr allerdings so weitermacht, überlege ich mir das unter Umständen noch mal. Da mein Gedächtnisverlust Tanika über die Maßen zu beschäftigen scheint, liegt es nahe, sich mit der Frage zu befassen, ob auch ganze Länder das Gedächtnis verlieren können. Genau darum ist Geschichte so wichtig …«
    »Sind Sie ’n Psycho? ’n gefährlicher Irrer?«
    »Die Erinnerungs- und Verdrängungskultur einer Nation prägt sowohl die Identität als auch das Denken und Handeln ihrer Bürger. So neigen wir Briten beispielsweise dazu, unsere Rolle im Zweiten Weltkrieg zu glorifizieren, während wir die vielen kolonialen Eroberungskriege, die sich von dem, was Hitler vorhatte, ehrlich gesagt, nur unwesentlich unterschieden, gern dezent unter den Tisch fallen lassen.«
    Das hatte ihnen offenbar zu denken gegeben, denn diesmal schossen ein paar andere Hände in die Höhe.
    »Ja – Dean?«
    »Halten Sie sich für den Messias, Sir? Marschieren Sie demnächst mit ’ner Knarre zu McDonald’s und mähen alles nieder, was sich Ihnen in den Weg stellt?«
    »Könnten wir uns bitte auf das Thema dieser Stunde konzentrieren? Also, da es der Demokratie nicht gelang, in Deutschland wirtschaftliche Stabilität herzustellen, wurde der Ruf nach einem militaristischen Führer klassischen Zuschnitts laut …«
    »Sind sie wieder alle dran?«
    »Was?«
    »Na, die Latten an Ihrem Zaun, Sir. O nein – da klafft ja immer noch ’ne Riesenlücke!«
    »Wollen Sie ’ne Birne, Sir? Ist aber schon ziemlich weich, das Teil …«
    »Kriegen Sie Schaum vorm Mund, Sir? Haben Sie Angst vor Wasser?«
    » Jetzt passt mal gut auf !«, brüllte ich schließlich. » Leichter wird’s nicht ! Der Aufstieg Hitlers und seiner Scheissnazis ist nun wirklich die billigste Nummer aller Zeiten ! Schliesslich läuft der Mist von morgens bis abends im History Channel , also sperrt gefälligst die Ohren auf , sonst unterhalten wir uns stattdessen mal in Ruhe über die Aufhebung der Irischen

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