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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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beiseitewischte, ging mir mächtig gegen den Strich.
    »Aber irgendjemand muss doch etwas unternehmen!«, sagte ich und hörte, wie meine Stimme sich in immer schwindelerregendere Höhen schraubte. »Wir können doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen und Däumchen drehen.«
    »Es hat keinen Sinn – dazu ist es schlicht zu spät. Ob es Ihnen gefällt oder nicht.«
    »Ach ja? Wir können zwar zum Mond fliegen und die Landung in der Normandie organisieren, versuchen aber nicht einmal, die Häuser und damit die Existenzgrundlage von mehr als einer Milliarde Menschen zu sichern?«
    »Die anderen Küsten werden so oder so verschwinden – damit müssen Sie sich abfinden.«
    »Nein, damit werde ich mich keineswegs ›abfinden‹! Ich werde etwas dagegen unternehmen. Und wenn ich mir x Venezianas bestellen muss. Dann picke ich die Sultaninen eben raus!«
    Zugegeben, meine Idee war recht gewagt, und dies war vermutlich weder die Zeit noch der Ort, um die Details zu klären. Hätte Ralph die Diskussion beenden wollen, hätte er lediglich auf die geopolitische und strategische Macht hinweisen müssen, die ein solches Wehr Spanien und Marokko verschaffen würde; stattdessen entschied er sich für einen gezielten Schlag unter die Gürtellinie.
    »Äh, ich habe gehört, Sie hätten psychische Probleme?«
    Meine Argumente für die Verwirklichung dieses gigantischen Bauprojekts ließen sich vermutlich am besten dadurch untermauern, dass ich Ralph gehörig die Fresse polierte. Ich hatte das untrügliche Gefühl, ihnen durch diesen raffinierten Schachzug deutlich mehr Nachdruck verleihen zu können, als es mir mit Worten möglich war. Ich spürte, wie sich meine Faust ballte und mir das Blut ins Gesicht stieg, während Ralph ängstlich einen Schritt zurückwich. Erst in allerletzter Sekunde zog irgendetwas in mir die Notbremse. Ich konnte mich nicht entsinnen, jemals einen Menschen geschlagen zu haben, und hatte mich vermutlich nicht umsonst an den ebenso dummen wie folgenschweren Zwischenfall mit dem verrückten Vater in der Schule erinnert. Nur deshalb war ich überhaupt hierhergekommen – um Maddy von meiner Gehirnerschütterung zu erzählen.
    »Wo ist Maddy?«, schnauzte ich ihn an.
    Als er es mir verriet, wusste ich sofort, dass auch ich sein wollte, wo sie war. Ohne mich zu verabschieden, machte ich auf dem Absatz kehrt und knallte die Tür hinter mir zu. Mit zitternden Fingern schloss ich mein Fahrrad auf. Es war beileibe keine kurze Fahrt, aber ich war so geladen, dass ich doppelt so schnell in die Pedale trat wie sonst. Taxifahrer wichen mir erschrocken aus, Fußgänger wagten sich nicht über den Zebrastreifen.
    »Hallo, Maddy«, sagte ich leise, als ich die Tür aufstieß.
    »Ach, hallo. Ich wusste gar nicht, dass du kommst.«
    »Nein – spontane Entscheidung. Hallo, Dad, wie fühlst du dich?«
    Das hagere Gesicht meines Vaters lugte unter der Bettdecke hervor, die leider nicht zu kaschieren vermochte, wie dürr und schwach er war.
    »Bist du das, Junge?«
    »Hallo, Dad. Du siehst ja schon viel besser aus.«
    »Das liegt nur an den Besuchen. Deiner wunderschönen Frau«, schnaufte er. »Ihr kommt doch. Sonst. Nie zusammen.«
    Maddy und ich wechselten einen verstohlenen Blick.
    »Na ja, wir dachten, häufige Besuche wären dir lieber, also wechseln wir uns ab«, improvisierte Maddy. Sie stand auf, wickelte die mitgebrachten Blumen aus und stellte sie in eine Vase.
    »Ja, genau!«, platzte es aus mir heraus. »Aber – es ist doch ganz schön, dass wir zur Abwechslung mal zusammen hier sind, findest du nicht, Maddy?«
    Ich war nach wie vor stocksauer auf sie und Ralph und registrierte mit Genugtuung, dass sie sich nicht wehren konnte, wenn ich ihr den Arm um die Taille schlang. Ich spürte, wie sie erstarrte, als ich die Hand auf ihre Hüfte legte, doch ich zog sie nicht zurück, und so standen wir vor dem Bett des alten Mannes, der uns anerkennend musterte. Maddy machte sich nicht von mir los; stattdessen erklärte sie meinem Vater, dass sie die Blumen in eine Vase gestellt habe und sie ein wenig dringend benötigte Farbe ins triste Grau des Zimmers brächten. Ihre Taille war weich und zart, und über ihrer Hüfte befand sich eine sanft geschwungene Rundung, die wie geschaffen war für eine Männerhand. Trotzdem hatte ich so meine Zweifel, ob es eine zärtliche Berührung war; vielmehr hatte ich den dunklen Verdacht, dass ich ihr den Arm nur um die Taille geschlungen hatte, um mich auf subtile Art an ihr zu

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