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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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dass er bereits bei euch eingezogen ist?«
    »Nein! Dillie und Jamie haben bei Freunden geschlafen, also ist er über Nacht geblieben. Aber bitte kein Wort zu den Kindern, sie wissen nichts davon.«
    »Jedenfalls bin ich vorbeigekommen, weil ich etwas mit dir besprechen wollte. Ich hatte heute noch mal ein CT …«
    »Okay – womit wir mal wieder bei dir wären …«
    »Es ist wichtig. Mir ist etwas eingefallen. An dem Tag, als du die Untersuchungsergebnisse bekommen hast … Also, die Sache ist die: An demselben Tag habe ich eine Gehirnerschütterung erlitten – der Vater eines Schülers ist aggressiv geworden, hat mich zu Boden gestoßen, und ich bin mit dem Hinterkopf auf dem Bordstein aufgeschlagen. Das könnte mit meinem Gedächtnisverlust im Oktober zu tun haben.«
    »Hast du mit deiner Ärztin darüber geredet?« Sie stellte sich absichtlich dumm.
    »Darum geht es nicht. Wir haben nach dem Streit an diesem Abend nie wieder im selben Bett geschlafen – dabei gab es einen medizinischen Grund dafür, dass ich vergessen habe, dich nach den Ergebnissen zu fragen. Ganz zu schweigen von dem Stress et cetera, der mit der Attacke und der Befragung durch die Polizei verbunden war. Und weil ich dich damit nicht belasten wollte, habe ich dir damals nichts davon gesagt. Aber dass ich vergessen habe, dich nach den Ergebnissen zu fragen, war für dich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, weißt du noch?«
    »Um ein Fass zum Überlaufen zu bringen, muss es schon ziemlich voll sein, oder?«
    »Aber an je mehr ich mich erinnere, desto klarer wird mir, dass wir uns nicht hätten trennen müssen. Das wusste ich schon in dem Moment, als ich mich im Herbst in dich verliebt habe.«
    »Du hast dich nicht in mich verliebt, Vaughan. Sondern in die Vorstellung, verheiratet zu sein.« Jetzt wurde sie böse. »Und nun muss ich mir ständig anhören: ›Ach, der arme Vaughan – er kann sich nicht mal mehr an seine Frau erinnern.‹ Dabei hattest du mich schon viel früher vergessen – insofern bist du deinem verqueren Weltbild konsequent treu geblieben.«
    Die Ampel war auf Grün gesprungen, und der Wagen hinter uns hupte ungeduldig. Maddy lehnte sich aus dem Fenster. »Und du kannst mich gleich mit am Arsch lecken!«
    Ich war erschrocken über ihren tief sitzenden Groll, hatte aber noch einen Spruch in petto, den ich mir vorher sorgsam zurechtgelegt hatte. Es war an der Zeit, ihn vom Stapel zu lassen.
    »Kannst du dir vorstellen, wie es ist, seine Identität zu verlieren? Dir deine Vergangenheit mühsam erarbeiten und dann mit ansehen zu müssen, wie sie dir wieder genommen wird?« Ehrlich gesagt, war ich in erster Linie dankbar dafür, dass wir nicht mehr darüber diskutierten, ob ich sie einen Elefanten genannt hatte oder nicht.
    »Ob ich weiß, wie es ist, seine Identität zu verlieren?«, fauchte sie ungläubig. »Soll das ein Witz sein?! Bevor ich dich geheiratet habe, war ich ›Madeleine‹. Weder ›Vaughans Frau‹ noch ›Jamies Mutter‹ oder ›Dillies Mutter‹. Ich existierte als eigenständiges Wesen. Ich war Maddy, die Fotografin, die ihr eigenes Geld verdiente, mit einer Arbeit, die ihr Spaß machte. Aber dann war dafür plötzlich keine Zeit mehr, und niemand wollte mehr mit mir über mich reden. Stattdessen hieß es bloß noch: ›Was macht Ihr Mann eigentlich beruflich?‹ und: ›Wie alt sind Ihre Kinder?‹ oder, der Knaller schlechthin: ›Gehen Ihre Kinder auf dieselbe Schule, an der Ihr Mann unterrichtet?‹ Ob ich weiß, wie es ist, seine Identität zu verlieren? Und ob ich das weiß. Wie jede verdammte Ehefrau und Mutter, die je auf Gottes beschissenem Erdboden gewandelt ist …«
    »Maddy, hier sind nur dreißig erlaubt, und du fährst fast siebzig …«
    »Und jetzt mache ich zum ersten Mal, seit ich denken kann, was ich will! Ich fliege nach Venedig. Ich bereite eine Ausstellung vor. Ich fahre zu schnell, wenn ich Lust dazu habe, vor allem aber brauche ich nicht mehr von morgens bis abends irgendwelche faulen Kompromisse einzugehen.«
    »Ich glaube, du bist gerade zweimal geblitzt worden …«
    »Na und, dann lege ich eben Widerspruch ein, mit der Begründung, dass mir mein Nochgatte gewaltig auf den Keks gegangen ist. Hast du dir etwa eingebildet, nur weil du dir den Kopf gestoßen hast, schmelze ich plötzlich dahin und flöte: ›Ach, das ist natürlich was ganz anderes! Es war alles meine Schuld …‹? Nein, mein Lieber. So einfach ist das nicht. Ich dachte, in deinem Schädel wäre

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