Der Mann, der starb wie ein Lachs
Elisabeth Perm. Das muss Nederhed von der Gerichtsmedizin sein, der mit dem Flugzeug aus Stockholm gekommen ist. In der Hand hielt Nederhed Laboranalysen, um die der Vorsitzende Richter ihn gebeten hatte, und zwar im Original. Rücksichtsvoll glitt er an der Wand entlang, ein rundlicher Mann mittleren Alters mit der hochstehenden Kurzhaarfrisur, die so üblich unter frisch geschiedenen Stockholmer Polizisten war. Er tat sein Bestes, um nicht zu stören, hatte die Schultern nach vorn gezogen und den Nacken gesenkt, so dass er fast etwas krumm aussah. Der Blick war fest auf den Richter gerichtet. Jedes Mal, wenn dieser das Wort ergriff, erstarrte der diskrete Gast, halb auf Zehen stehend, verwandelte sich in einen Findling. Doch sobald eine Pause entstand, ein Räuspern, ein Blättern in den Papieren, machte er ein paar eilige Schritte nach vorn. Dieses sonderbare Schleichen hatte natürlich genau den gegenteiligen Effekt wie beabsichtigt. Innerhalb kürzester Zeit war die Aufmerksamkeit des gesamten Gerichtssaals auf ihn gerichtet, bis er sich schließlich mit einem letzten, mohikanerartigen Sprung aufs Podium schwang.
Nederhed streckte den Ordner mit den Laborergebnissen hin, ein normales, dunkelblaues Ringbuch. Er hatte es in seinen Schaufeln von Händen getragen, hatte es wie ein kostbares Serviertablett gehalten, und es war ziemlich feucht von seinem Handschweiß geworden. Der Vorsitzende schaute kurz auf, der Einzige im Saal, der den Boten noch nicht bemerkt hatte, und mit einem missmutigen Brummen setzte er sich die Lesebrille auf. Nederhed drehte sich um und streckte den Rücken, offensichtlich erleichtert darüber, von seiner Bürde befreit worden zu sein. Das Schleichen änderte nunmehr vollkommen seinen Charakter, er begann fast zu schlurfen mit lang ausholenden Schritten, während der Oberkörper wie bei einer Ente vor und zurück pendelte. Wie ein Schuft in einem alten B-Film, dachte Elisabeth Perm. Doch dann blieb er plötzlich stehen. Blieb vor den Angeklagten stehen. Es zuckte in seinen Mundwinkeln.
Der Vorsitzende Richter schob sich die Brille auf die Nasenwurzel und überflog gewichtig den Ordner, während die Sekunden verrannen. Alle betrachteten ihn unter feierlichem Schweigen. Was ihm gefiel. Als Jugendlicher hatte er eine umjubelte Interpretation des Mephisto im Studententheater gegeben. Es erforderte Präsenz und Nähe, um eine Theaterbühne zu beherrschen, viel hing von den Augen ab, aber auch von der körperlichen Präsenz. Es zu wagen, einsam zu sein. Nicht danach zu streben, beliebt zu sein.
Doch dann bemerkte er plötzlich, dass er gar nicht derjenige war, den die Zuschauer ansahen. Sondern Nederhed. Der Bote. Dieser räusperte sich laut, und anschließend sagte er mit überraschend tiefer, Leonard-Cohen-ähnlicher Stimme:
»Mutta miehään tunnen teät! Aber euch kenne ich doch! Ihr seid doch aus Vivungi.«
Adam Svensson und Berit Johansson saßen mit offenen Mündern da. Elisabeth Perm ließ den Blick zwischen ihnen, Nederhed und den beiden Verteidigern hin und her wandern. Letztere sahen fast aus wie Studienräte, jeweils Klassenlehrer einer problematischen Oberstufe mit unerträglicher Arbeitsbelastung und personellen Einsparungen. Jetzt beugten sie sich vor und schienen etwas sagen zu wollen. Doch Nederhed fuhr unbeirrt fort, jetzt auf Schwedisch:
»Ihr seid doch die Kinder von Heikki. Ich hab doch gleich gedacht, dass ich euch kenne.«
Der Richter saß vollkommen still da. Er versuchte sich zu konzentrieren.
»Habe ich das richtig verstanden, dass Sie die Angeklagten kennen?«
»Ja, natürlich.«
Als Erstes kam ihm sein Terminkalender in den Sinn. Das würde ein paar freie Tage geben.
»Die Verhandlung wird vertagt«, beschloss der Vorsitzende Richter und winkte Nederhed energisch zu sich. Doch dieser sah sich im gleichen Moment von den Journalisten umringt. Fragen prasselten auf ihn ein, und Diktiergeräte wurden ihm entgegengehalten. Vollkommen überrumpelt lächelte Nederhed in die Kameras. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er Schlagzeilen schrieb. Nederhed aus Vivungi würde sein Gesicht auf den Titelseiten sehen können. Fifteen minutes of fame!
Die Polizeibeamten holten ihre Handschellen heraus. Die Zuschauer blieben verwirrt sitzen, doch als die Staatsanwältin und der Richter zur Tür gingen, mussten sie einsehen, dass es bereits vorbei war.
Die Schulkinder drängelten sich verwundert um ihre Lehrer und hofften, frei zu bekommen.
Die samische Alte zog langsam ein
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