Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
wachsam werden.
    »Mit dem Jungen stimmt wohl etwas nicht«, fuhr Sonny fort. »Er ist wohl nicht ganz richtig im Kopf, oder?«
    So heißt das nicht, dachte Eino. Es heißt irgendwie anders. Eleganter.
    »Er ist klüger als du«, sagte sie hart.
    »Aber das mit den Tieren? Warum hat er das gemacht?«, ließ Sonny nicht locker.
    Jetzt wurde sie rot. letzt kamen die Gefühle.
    »Er hat seine Sachen für sich da auf dem Dachboden gemacht.«
    »Wusstest du von Martin Uddes Aktentasche?«
    »Nein.«
    »Hat dein Sohn sie gestohlen? Ja? Der Junge muss den Alten aufgesucht haben.«
    Sonny beugte sich fordernd vor, die Schuhsohlen auf den Boden gedrückt wie auf eine Kaviartube. Sie hob den Blick, ihre Iris wurde grau und hart. Da gab es Intelligenz. Und Hass.
    »Du hast dich beim Rasieren geschnitten«, sagte sie plötzlich.
    Sonny spürte, wie es im linken Wangenwinkel brannte. Mit dem Zeigefinger traf er auf einen schimmernden roten Blutstropfen. Die Frau spuckte auf ihr Taschentuch und wischte ihn blitzschnell ab. Die Wunde war verschwunden. Langsam faltete sie das Taschentuch um den roten Fleck herum zusammen. Keiner der Männer bewegte sich, als sie aufstand und den Raum verließ.
    »Jesus«, murmelte Sonny.
    »Du hättest sie nicht reizen sollen«, sagte Eino.
    Der Sohn, dachte er mit widerwilliger Bewunderung. Sie hat dem Sohn die Freiheit gegeben. Der erste wirklich freie Tornedaler.
     

50
     
    Die Luft ist grün und hautwarm. Esaias taucht seine Hände in eine emaillierte Waschschüssel mit grüner Seife und heißem Wasser, das unter dem freien Himmel abkühlen konnte. Ein Nachtfalter zappelt auf der Wasseroberfläche mit ausgebreiteten Flügeln, der Hinterkörper krümmt sich und zuckt im Todeskampf, doch dann wird er vorsichtig auf den Fingernagel des kleinen Fingers und dann auf ein Blatt gelegt. Ein frisches, algengrünes, fleischiges Blatt, auf dem der Nachtfalter erschöpft in seinem grünen Wassertropfen herumkriecht und dann zur Ruhe kommt, er wartet, dass er trocknet.
    Irgendwo summt es. Ein Brausen von Millionen von leisen Geräuschen, Tannennadeln, die sich aneinanderreihen, Laub, an dessen Stiel gezerrt wird, Grashalme, die sich biegen und aneinanderschlagen, Wellen von Wassertropfen, die zu Bächen anwachsen, zu festen Wasserkissen, bis sie übereinanderkullern in schäumenden Wasserfällen, Luftmoleküle in den äußersten Federhaken der Flügelspitzen, ein Geräuschemix, der verschwindet und gleich wieder zurück ist, wie Haar, wie ein Atmen, ein langsam steigender und fallender Geräuscheregen.
    Alles liegt und fließt. Grün. Gras im Mund, grüner Geschmack. Sich wiegen unter schwerem Nacken, unter den ruhigen Tellern der Schultern, unter der Blechwanne des Beckens, wiegend und grün.
    »Ich liebe dich, dass es weh tut«, flüstert sie.
    Sausen. Brausen. Ich liebe dich, dass es weh tut.
    »Allein der Tod …«, singt er leise, »der Tod … der Tod löst alles … Vain kuolema … kuolema … kaikki irrottaa …«
     
    Sie wandern umher, während der Nachmittag langsam in den Abend übergeht. Durch Farnsenken, dornige Brombeersträucher, über magere Kiesbänke mit Triften und Strandhafer dem Ufer entlang, wo gärender Tang und Treibholz zum Meer hin treiben. Sie setzen sich auf einen abgeleckten Felsen, geschliffen von Regen und Salzwasser, ein gerundeter Stirnknochen aus Granit am Südende der Bucht, und vor ihnen öffnet sich der Schärengarten. Inseln, die sich vor dem Horizont wölben, zerfranste Waldsilhouetten, die ins Blaue wechseln, und ganz weit draußen das offene Meer.
    »Hier kann uns niemand finden«, sagt Therese.
    Sie legt sich auf den Rücken, hoch oben gibt es nur einen blauen Abgrund.
    »Niemand«, sagt er.
    »Nicht einmal niemand.«
    Er legt seinen Schenkel über sie. Fleisch auf Fleisch. Sie warten ab. Hören den Wellen zu, hören das entfernte Ga-gaga einer Mantelmöwe.
    »Sommer«, sagt er. »Obwohl es fast schon Oktober ist.«
    »Es ist das Meer, das wärmt.«
    »Ja?«
    »Das Meer.«
     
    Er bekommt einen kämpfenden Hecht ans Vorfach. Die Flossen schimmern grün im Schlepplicht, der Körper windet sich in Spiralen, das lange Maul schnappt nach dem Köder, beißt ruckartig zu, während Esaias die Messerspitze ins Rückgrat sticht, direkt hinter den Kiemen. Die Schwanzflosse peitscht ein letztes Mal gegen das Arbeitsbrett und hebt sich zitternd und feucht, im Todeskampf bebend, während die spulenförmige Fischseele schräg nach oben schwimmt und durch die Ozonkuppel

Weitere Kostenlose Bücher