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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Ganzes zu werden.«
    »Ich bin ein Ganzes«, sagte sie. »Ich bin Weltbürger.«
    »Weltbürger?«
    »Ja, genau.«
    »Und wie viele Sprachen kannst du?«
    »Schwedisch und Englisch.«
    Er sah sie an. Ihre Wangen glühten von der Hitze. Auf ihnen wuchs feiner weißer Flaum.
    »Es gibt über fünftausend Sprachen auf der Welt, und du kannst zwei.«
    Sie betrachtete schweigend seinen Fuß. Die Zehen waren lang und kräftig.
    »Ich möchte, dass wir weiterhin Meänkieli in Schweden sprechen«, fuhr er fort. »Dafür kämpfen wir. Dass wir unsere Sprache sprechen können, ohne dass die Leute glauben, wir wären deshalb weniger wert. Wir wollen unsere Sprache im Radio und Fernsehen hören können. Wir wollen, dass unsere Tornedaler Kinder Meänkieli in der Schule lernen.«
    »Und das wollte Martin Udde nicht?«
    »Du hast doch seine Leserbriefe gesehen. Voller Hass und Verachtung. Und privat hat er versucht, uns mit Gerüchten und falschen Anschuldigungen fertig zu machen.«
    »Dann meinst du, dass er bösartig war?«
    »Er hat immer die Schwächeren verfolgt. Wir waren ja arm und schlecht ausgebildet in meiner Familie, und Udde hat geglaubt, er könnte sich uns gegenüber alles erlauben. Schließlich saß er im Ausschuss für die Kinderfürsorge, und da hat er erfahren, dass die große Schwester meiner Großmutter ein Kind bekommen hat, obwohl sie jung und unverheiratet war. Da ist er auf ihren Hof gekommen und wollte das Kind holen. Begreifst du das, solche Situationen, die haben ihm gefallen. Er stellte sich in die Tür und hat mit den Papieren gewedelt und damit geprahlt, dass er das Kind abholen wolle. Es war noch ein Säugling, und es fing an zu weinen, aber Udde hat nur versucht, es aus der Wiege zu holen. Aber da hat es der Mutter meiner Großmutter gereicht, Henriikka hieß sie. Sie hat wie eine Wahnsinnige geschrien, und dann hat sie die Axt genommen. Und Udde stand da mit dem Kind. Irgendwie hat er begriffen, dass es Ernst war. Zum ersten Mal war da jemand, der sich ihm widersetzte, und noch dazu eine alte Greisin. Aber er gab nicht klein bei, und da hat die Tante die Axt geworfen. Sie hat sie quer durch die Küche geworfen, und sie ist direkt in die Küchentür geknallt. Und erst da hat er das Kind losgelassen, und du glaubst nicht, wie eilig er es plötzlich hatte, denn das ganze Axtblatt war ins Holz gedrungen. Ich war oft als Junge dort, und die Spuren waren immer noch zu sehen.«
    »In der Tür?«
    »Ja, in der Küchentür. Und jedes Mal, wenn meine Mutter das erzählt, wird sie so stolz auf ihre alte Großmama. Sie kriegt ganz glänzende Augen, weißt du. Es war das einzige Mal. Das einzige Mal, dass jemand den Mistkerl gestoppt hat.«
    Anschließend saßen sie schweigend da. Der Saunaofen brummte. Vom Fleischbrett war ein leises Knacken zu hören. Plötzlich lag ein Hausbock auf dem Rücken und zappelte mit seinen Käferbeinen, er musste aus einem Spalt im Dach heruntergefallen sein. Ohne nachzudenken, hob er das Messer und schnitt das Insekt in der Mitte durch. Es ging blitzschnell. Die Hälften fielen auseinander und zitterten noch einen Moment, versuchten wieder aufzustehen. Therese starrte ihn an. Esaias griff verwirrt die beiden Insektenhälften und schob sie zusammen, versuchte die Käferteile wieder aneinanderzudrücken, damit er wieder ganz wurde.
    »Hundert Prozent«, murmelte Therese.
    Aber er war bereits tot.
     

18
     
    Sobald das Flugzeug nach Stockholm seine Flughöhe erreicht hatte, holte Therese ihren Laptop heraus. Noch einmal sah sie Uddes gesammelte Leserbriefe durch, die meisten aus dem Haparandabladet. Mit fast unbegreiflicher Energie griff er das Meänkieli an. Es sei keine richtige Sprache, betonte er immer wieder, es sei wortarm und lächerlich, ein Gelächter hervorrufendes Sammelsurium, weder Schwedisch noch Finnisch, minderwertig und erbärmlich. Hin und wieder wurde er geradezu wütend, beispielsweise als die Gemeinde von Pajala obligatorischen Meänkieliunterricht in den Schulen hatte einführen wollen. Das bezeichnete er als Wahnsinn, eine Idiotenidee, der reinste Blödsinn. Die Gemeinde von Pajala werde von beschränkten Tornedalern gelenkt, und der Svenska Tornedalingars Riksförbund bestehe aus Fanatikern, elitären Gestalten und »keinen echten Tornedalern«. Einige andere Personen unterstützten Martin Udde in der Debatte, und es zeigte sich, dass sie oft genau wie er Zöllner waren, Volksschullehrer, Redakteure oder Staatsbeamte, auffallend oft aus der Region

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