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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Walter-Schüsser-Pumps im gleichen Farbton und eine kleine, feste Handtasche, die an eine schwarz lackierte Walnuss erinnerte.
    Sie bestellten sich beide einen Espresso und unterhielten sich, während draußen der erste Abendverkehr vorbeirauschte. Therese zeigte ihr ihren neuesten Fund, eine Schultertasche von Lucia Parrotti, die sie sich eigentlich nicht leisten konnte. Aber man lebt ja nur einmal. Die Spange sah aus wie eine versilberte Hummerzange, die sich um eine Brustwarze schloss.
    »Ich war vor einer Weile bei Oma«, sagte Therese wie nebenbei, spürte aber, wie ihre Mutter sich straffer hinsetzte.
    »Ach.«
    »Das wollte ich dir nur sagen.«
    Die Mutter rührte fest mit dem Löffel in ihrer Tasse. Das Klappern veranlasste ein Paar am Nebentisch, sich umzudrehen.
    »Es ist, wie es ist. Du brauchst gar nicht zu versuchen, etwas flicken zu wollen.«
    »Ich mache das nur für mich selbst, Mama. Schließlich hattest du mir gesagt, sie wäre tot.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Du hast gesagt, ich hätte gar keine Großmutter. Das ist ja wohl das Gleiche.«
    Das Gesicht ihrer Mutter erstarrte. Sie beugte sich vor, Schweiß trat ihr auf die Stirn.
    »Halt mal den Mantel hoch«, zischte sie.
    Therese verdeckte diskret die Sicht zum Nachbartisch. Die Mutter zog ein Etui mit Insulin heraus und schob ihr Kleid hoch. Sie zog ein Pflaster ab und stach die Kanüle in den Schenkel, ohne eine Miene zu verziehen. Dann richtete sie ihre Kleidung und fand wieder ihr Gleichgewicht.
    »Ich werde bald nach Kreta fahren«, sagte sie in lautem Ton. »Es ist an der Zeit, ich muss dorthin.«
    »Schon wieder?«
    »Ja, wieso? Schließlich lebt man nur einmal. Und außerdem habe ich reichlich Überstunden abzubummeln.«
    Therese spürte es wieder. Die Rastlosigkeit. Die Hände, die an allem zupften, die nie richtig ruhig liegen konnten.
    »Du solltest aufhören, nachts zu arbeiten, Mama.«
    »Nein, wieso denn. Es gefällt mir ausgezeichnet. Da passiert immer etwas, das ist mir lieber, als Däumchen zu drehen.«
    Therese löste ein Stück der neonblauen Kuchenkruste und probierte. Es schmeckte eigentümlich, nach nichts, ohne eigenen Charakter. Schön anzusehen, es war, als esse man Sauerstoff.
    »Warst du nicht erst kürzlich auf Kreta?«
    Mama klang verwundert, als hätte sie es vergessen.
    »Ja, das stimmt.«
    Oder stimmt etwas nicht mit meinem Mund?, überlegte Therese. Dass ich nichts schmecken kann. Vielleicht ist er irgendwie betäubt?
    »Aber nun erzähl mal«, fuhr sie fort, »wie heißt er? Dein Date auf Kreta?«
    »Ich bin zu alt für Kerle, das weißt du doch.«
    »Stavros oder wie? Ein silberhaariger alter Bademeister?«
    »Okay«, erwiderte die Mutter. »Vielleicht handelt es sich ja um so einen One-Night-Stand. Aber kein Stavros, keine sich lang hinziehende, treue Romanze.«
    »Und warum nicht?«
    »Das geht nicht mehr, wenn man mit einem Penner verheiratet war.«
    Therese griff energisch nach dem kleinen Tassenhenkel. Hob die Tasse hoch, sah den kleinen, eingetrockneten Kaffeetropfen daran, der von ihrer Lippe stammte. Den Goldrand. Und darunter das kleine, luxuriöse Logo des Cafés.
    »Dann war er also ein Junkie?«
    »Das weißt du doch.«
    »Mein Papa?«
    Die Mutter nahm ihre Serviette vom Schoß, führte sie an die Lippen, ohne dort wirklich anzukommen, eher wie eine Geste. Sie wollte gehen. Therese stellte schnell ihre Tasse mit unnötig lautem Scheppern auf den Tisch.
    »Ich dachte, er wäre Alkoholiker gewesen.«
    Die Mutter schaute sich um. Jetzt keine Szene. Kontrolle bewahren.
    »Er war ein Stück Dreck. Weniger als ein Stück Dreck. Wie viel macht es, ich lade dich ein.«
    »Aber anfangs war er nett?«
    »Hör auf jetzt.«
    »Schließlich habt ihr mich gemacht. Irgendwas muss da doch gewesen sein.«
    Die Mutter winkte der Kellnerin und reichte ihr eine American-Express-Karte.
    »Ja, er war ein Samenspender, wenn du das meinst.«
    »Aber wie fand er mich eigentlich?«
    »Das hast du schon mal gefragt.«
    »Ich möchte nur wissen, ob wir … ob er mich im Arm gehalten hat?«
    Therese traute sich nicht, ihre Mutter direkt anzusehen. Sie betrachtete die kaum benutzte Serviette. Einen kleinen, fast unsichtbaren Lippenstiftfleck.
    »Man denkt, man ist stark«, sagte die Mutter. »Aber wenn es etwas gibt, was ich in diesem Leben gelernt habe, dann dass sie es sind, die gewinnen. Auch wenn sie verlieren, gewinnen sie doch.«
    »Meinst du die Männer?«
    Aber ihre Mutter war bereits verschwunden.
     

19
     
    In

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