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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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verbracht und zugeschaut, wie die einheimischen Bauern diesen merkwürdigen Bärentanz aufführten. Als Erinnerung an diesen Besuch hatte Skjöldebrand ein Aquarell des Gutes angefertigt mit seinen Gebäuden am mächtigen Kengis-Wasserfall. Auch hier in Fredrikshamn spazierte Skjöldebrand die Stadtstraßen frühmorgens entlang, und mit seinem Zeichenstift skizzierte er einige Hausfassaden im Schutz seines Mantels in dem feuchten, regnerischen Wetter. Müde Hunde wühlten in den Müllhaufen an den Straßenecken und stritten sich mit gelben Reißzähnen um ein paar Fischreste. Pfeiferauchende und hustende Bauersfrauen kamen angehumpelt, den Birkenrindenrucksack voll mit Rüben, die sie auf dem Gemüsemarkt verkauften, eingehüllt in ihre Kleider und Schürzen mit Zinnknöpfen und mit einem Haufen rotznäsiger Kinder, die träge dasaßen und mit ein paar Strohhalmen spielten. Unten am Hafen wurde Holz in eine Schute verladen. Die Schauermänner mit ihren mageren Wangen wankten ein Fallreep hinauf, die Schultern von frisch gesägten Planken niedergedrückt, die auf Lederkissen ruhten, die wiederum mit Rosshaar gestopft waren. Die Männer wurden mit der Zeit chronisch schief, ihre Oberkörper beugten sich vor, und sie gingen schräg wie in einem ständigen Seitenwind. In der Mittagspause aßen sie mit ihren schwarzen Fingern gebratenen Fisch und tranken piimä aus Metallflaschen. Bereits gegen Mittag wurden die kleineren Jungen losgeschickt, um die Rauchsauna anzuheizen, die aus Restholz hinten an den Waschstegen errichtet worden war. Wenn der Arbeitstag endlich zu Ende war, traf man sich dort, schwankend und eifrig mit seinen Flaschen gestikulierend. Sie sehen aus wie Kriegspferde, dachte Skjöldebrand. Von der Arbeit erschöpft, gehäutet, die Augen wie gegossene Bleikugeln.
    Die letzten Anordnungen von der schwedischen Regierung waren am vierten September eingetroffen. Im Notfall gab man seinen Unterhändlern das Mandat, Åland aufzugeben und die Grenzziehung am Fluss Kalix zu akzeptieren. Rumiantsev bekam einige Wochen später Antwort vom Zaren. Sollte es der Fluss Kemi oder der Fluss Kalix sein? Skjöldebrand blätterte in seinen Papieren und zog überraschenderweise die Skizze eines russischen Küstenfrachters heraus, der vor einigen Tagen Salz gelöscht hatte. Er spürte, wie ihn das Reisefieber packte. An Bord gehen. Einfach davonfahren. Riga, Greifswald, Wilhelmshaven. Diesen Sumpf hier verlassen, diesen Gestank nach Mist und saurem Hering.
    Neben ihm saß Botschafter Stedingk und röchelte. Er hatte sich erkältet und dünstete eine Teertinktur aus, die ihm die Köchin besorgt hatte, eine trübe Hausmedizin, von der es hieß, sie helfe gegen Schleim und Gliederschmerzen. Mit zitternden Händen gelang es ihm, sein großes Taschentuch herauszuholen, aufzufalten und einen Tropfen von der äußersten Nasenspitze aufzufangen. Hatte er möglicherweise Fieber?
    Der Fluss Kemi oder der Fluss Kalix? Hier und jetzt sollte es entschieden werden. In diesem Raum mit seiner milden Kachelofenwärme, seinem feuchten Schuhwerk, mit Alopaeus' Walnussholzpfeife, die er sorgfältig mit klebrigem moldawischem Tabak stopfte. Ein paar Lappenkaten da oben im Tornedal. Eine Handvoll finnischsprechender armer Hunde, die zwischen den Stämmen der riesigen Wälder hockten. Hier und jetzt sollte ihr Schicksal besiegelt werden.
    Rumiantsev zog die zusammengerollte Karte heraus, die ihm der Zar geschickt hatte. Auf das eine Ende stellte er seine Teetasse, um sie zu beschweren. Dann begann er unter den Blicken aller Anwesenden das Kartenblatt auszurollen.
     
    Es hätte der Fluss Kalix werden können. Pajala und das ganze Tornedal werden damit eine Art russisches Territorium. Anfangs ist noch kein großer Unterschied zu bemerken. Doch nach der Roten Revolution 1917 sagt sich die Provinz als selbständige Nation los, und wir Tornedaler schließen uns der neuen Nation Finnland an. Und uns erwarten Krieg und Vernichtung. Im finnischen Bürgerkrieg stellen wir uns auf die Seite der Roten und verlieren. Während des Winterkriegs werden unsere Väter und Brüder in den Schützengräben bei Viborg und Salla fallen. Im Folgekrieg zieht die deutsche Armee sich nach Norden hin zurück und befolgt die Taktik der verbrannten Erde. Alle Orte gehen in Flammen auf. Die Grenzstadt Ylikainuu, oder Överkalix, wie sie in schwedischer Übersetzung heißt, wird bis auf die Grundmauern niedergebrannt, ebenso Hietaniemi, Korpilombolo und Vittangi. In der

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