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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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schwedischen Stadt Tärendö stehen die Einwohner am Flussufer und nehmen die Flüchtlinge aus der Region von Pajala in Empfang, während man zusehen muss, wie auf der anderen Seite des Grenzflusses die finnische Zwillingsstadt Tärantö angezündet wird, während noch die letzten Verwandten in ihren Ruderbooten über den Fluss fliehen.
    Im Jahr 1900 wird die neue Bergbausiedlung Kiirunavaara gegründet. Der finnische Bürgermeister Hannu Lundbohm formt eine Musterstadt um die neu angelegte Eisenerzgrube, inspiriert von finnischer und russischer Baukunst. Besonders berühmt wird die einzigartige Holzkirche, sie erinnert an eine riesige Rauchsauna mit Kirchenbänken in steil hochgezogenen Reihen wie in einem griechischen Amphitheater. Die Haupteisenbahnlinie wird verlängert bis hierher über Kemi und Pajala, und der Eisenerzzug fährt regelmäßig bis zum Stahlwerk in Tornio mit seinem neu angelegten Eisenerzhafen. Das Bergbauunternehmen LKOY wird der wichtigste Arbeitgeber der Region, der viele Arbeitsplätze bietet und materiellen Wohlstand für das ganze nördliche Finnland bringt.
    Die Sprache der Region ist Finnisch. Der alte Tornedalsche Dialekt wird mit der Zeit modernisiert und ähnelt immer mehr dem offiziellen Finnisch. Auf beiden Seiten des Torneälv blüht die Literatur. In Pajala schreibt der Tornedal-finnische Schriftsteller Mikko Niemi einen Roman über das Schicksal seiner Familie, zurückreichend bis zum Großvater, der beim Hinterhalt bei Suomussalmi dabei war, später aber unter russischem Artilleriefeuer auf der Karelischen Halbinsel 1944 fiel, eine Ehefrau mit acht Kindern hinterlassend. Der Roman wird mit dem Finnischen Literaturpreis belohnt, und der Rezensent der Helsingin Sonamat lobt das Buch ob seiner ausdrucksvollen finnischen Sprache, geprägt von dem alten Tornedalschen Idiom, kritisiert aber Niemis Ungenauigkeit, was die historischen Basisfakten angeht, und ermahnt ihn, »aufmerksam Väinö Linna zu studieren«.
     
    Aber lassen Sie uns zum September 1809 in Fredrikshamn zurückkehren. Kemi oder Kalix, welcher Fluss wird es werden? Jetzt muss es entschieden werden. Im Nachhinein kann man lange darüber spekulieren, wie sich die Tornedaler selbst wohl entschieden hätten. Wenn sie mit dem Schlüssel in der Hand dagesessen hätten, wenn sie hätten abstimmen dürfen. Als Finnen würden sie Stolz auf ihre Kultur und ihre Sprache entwickeln. Aber ihre Dörfer würden von Hitlers Truppen niedergebrannt werden und Tausende von Angehörigen sowohl im Bürgerkrieg als auch im Zweiten Weltkrieg getötet werden. Als schwedische Staatsbürger würden sie dem äußeren Krieg entgehen, stattdessen aber von einem inneren getroffen werden. Verstummt, zur Unterwürfigkeit erzogen, das ganze 20. Jahrhundert lang herumschleichen, mit dem schwedischen Angelhaken im Rückgrat. Wie hätten sie sich entschieden?
     
    Rumiantsev rollt langsam die Karte zu ihrer vollen Breite über dem Tisch aus. Am anderen Ende steht Alopeaus' versilberte Tabakdose. Das Kartenblatt glitzert im Tageslicht wie ein gekrümmtes russisch-orthodoxes Heiligtum. Alle beugen sich wie auf ein Kommando darüber.
    Mitten über der Karte ist von Zar Alexander I. ein Strich gezogen worden. Er hat Kreide dazu benutzt. Rote Kreide.
    Der Strich ist entlang dem Torne älv gezogen worden.
    Nicht am Kemi oder Kaliv älv. Nein.
    Am Torne älv.
    Tornion Väylä.
    Ronion Joki.
    Ein roter Kreidestrich. So einfach verändert man den Lauf der Geschichte. So wird ein Volk gespalten. Werden Städte zerschnitten, wie Brotscheiben durchbrochen. Das schwedische Karunig und das finnische Karunki. Das schwedische Juoksengi und das finnische Juoksenki. Das schwedische und das finnische Pello. Karesuando und Kaaresuanto. Familien, die in der Luft geteilt werden, mit einem eleganten Knick im Handgelenk zerschnitten werden.
    Ein paar Wochen später, auf dem Kirchenvorplatz von Umeå, stellt sich der inzwischen zum General beförderte Georg Carl von Döbeln auf, um die finnische Armee zu verabschieden. Es ist der achte Oktober. Der Tag ist grau und kalt.
    »Finnen!«, ruft er. »Mit diesem Frieden geht ein Drittel des Landes der Schwedischen Krone verloren, Schweden verliert für alle Zeiten die stolze finnische Nation, seine stärkste Stütze. Und nicht genug damit, die schwedische Armee verliert ihren Kern und den wichtigsten Teil ihrer Kriegsmacht. Das Mutterland ist am Boden zerstört, grämt sich vor Trauer über den Verlust trotz unermesslicher

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