Der Mann, der starb wie ein Lachs
versammelte man sich nun. Die schwedische Delegation wurde von dem ehemaligen Botschafter in Sankt Petersburg, Curt von Stedingk, geleitet sowie von Oberst Anders Fredrik Skjöldebrand, gefolgt von Sekretären, Dolmetschern und einigen Beratern und Militaristen niedrigeren Grades. Die Russen, die also die Siegermacht darstellten und die Zusammenkunft ausrichteten, wurden vom Außenminister Graf Nikolai Rumiantsev und dem ehemaligen Gesandten in Stockholm, David Alopaeus, repräsentiert, direkt entsandt von Zar Alexander I. Man gruppierte sich um einen riesigen polierten Eichentisch und ließ sich in Lehnstühlen mit gepolsterten Armlehnen und bequemen Sitzkissen aus rotem Damast nieder. Wasserkaraffen wurden von zwei Dienern hereingetragen, dazu kleine Teller mit gesalzenen Pilzen. Letzteres fand keine Gnade bei den Schweden, Sekretär Morhuldt beschrieb den Geschmack in einem Brief an seine Verlobte Eleonora als eine Mischung aus »Gewehrschrot und wurmzerfressener Schweineschwarte«. Dagegen wurde der Samowar geschätzt, der von dem russischen Adjutanten bedient wurde, eine dampfende Anordnung ochsenfarbenen Porzellans und golden polierten Messings mit einem Silberhahn, aus dem bernsteinfarbener Tee ausgeschenkt wurde, äußerst erlesen und sättigend im Geschmack. Bereits zu Beginn der Verhandlungen erlaubte sich Minister Rumiantsev den Versuch, die Stimmung etwas zu lockern, er verriet augenzwinkernd das Geheimnis der russischen Militärerfolge, das angeblich darin bestand, dass jedem Stabszelt ein Samowar folgte, sommers wie winters. Ein russischer Offizier mit einer Tasse Chai, wer könnte mit größerem Enthusiasmus einen Feldzug leiten!
Die schwedische Delegation lächelte verhalten und konterte mit einigen Höflichkeitsphrasen, schnupperte am Tee und fummelte an ihrem Schreibzeug. Draußen schlug der Regen gegen die hohen Fenster, die Wolken wurden vom Meer herangeblasen, das so nah war, dass man es riechen konnte. Die abkommandierten Wachposten draußen hatten die Erlaubnis erhalten, sich unter das Eingangsdach zu stellen, vier junge Wachen in bereits durchnässten Paradeuniformen, die zur Ehre des Tages getragen wurden.
Anders Fredrik Skjöldebrand öffnete sein Federetui, um zu zeigen, dass er fertig war mit den Formalitäten. Er zog eine Stahlfeder hervor und ergriff sie wie eine Sticknadel. Mit scheinbarer Nonchalance kratzte er Ortsnamen und Zeitpunkt auf den obersten Bogen. Der Kachelofen wärmte schräg von hinten, er konnte die sanfte Strahlung spüren. Wie die Wärme eines Pferds. Ebenso lebendig. Eigentlich wäre kein Feuer nötig gewesen, der Tag war trotz des Regens warm, aber die Stimmung wurde dadurch zweifellos ein wenig gemütlicher.
Bereits bevor die Verhandlungen ernsthaft begannen, war eine Sache für Skjöldebrand klar. Sie würden Finnland verlieren. Nicht nur Teile in den Randbezirken, wie beim Frieden von Nystad 1721 oder in Abo 1743. Sondern alles. Er würde hier sitzen und wäre gezwungen, einen der größten Landverluste Schwedens in seiner ganzen Geschichte zu bezeugen.
Aber wo genau sollte die Grenze gezogen werden? Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte der russische General Peter van Suchtelen einen Rapport an den Zaren geschrieben und die Grenzziehung am Fluss Kalix empfohlen. Das Gebiet nördlich davon war laut diesem Bericht ausschließlich von Finnen bewohnt. Das gesamte Tornedal gehörte damit also ganz klar zur Provinz Finnland und sollte folglich unter russische Oberhoheit gestellt werden. Außerdem hatte der Kalix seinen Ursprung im schwedisch-norwegischen Gebirge. Auf lange Sicht könnte Russland möglicherweise sogar ein Stück von Nordnorwegen dazugewinnen und somit eisfreie Häfen im Atlantik erhalten.
Außenminister Rumiantsev seinerseits war bereit, sich mit dem Fluss Kemi als Grenze zu begnügen. Warum sollte man sich über ein paar unbedeutende Lappenhütten im Tornedal streiten? Das hatte er dem Zar vorgeschlagen, und die Antwort von diesem musste jeden Moment eintreffen.
Skjöldebrand wurde Fredrikshamn immer überdrüssiger. Tage und Wochen verstrichen, während man auf die Kurierpost mit weiteren Instruktionen von der schwedischen und der russischen Regierung wartete. Es zog sich verflucht lange hin. Er erinnerte sich an eine Reise, die er selbst 1799 in die Gebiete getätigt hatte, um die jetzt verhandelt wurde, gemeinsam mit dem Italiener Giuseppe Acerbi. Unter anderem hatten sie ein unvergessliches Mittsommerwochenende bei den Gutsbesitzern von Kengis
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