Der Mann, der starb wie ein Lachs
nehmen.
»Rakhaus … ist das Meänkieli?«
»Liebe«, murmelte er. »Du weißt doch. Es war kein Zufall, dass wir uns begegnet sind.«
»Jetzt?«
»Letztens an der U-Bahn.«
Esaias fasste ihre Hände in dem warmen Abendlicht. Streichelte sie vorsichtig. Folgte den Adern auf dem Handrücken. Tief unter ihnen floss der Abendverkehr, der Blutkreislauf der Stadt, ihre hektisch pumpende Rastlosigkeit. Er schnitt mehr Fleisch ab. Sie nahm noch einen Happen, der Geschmack war wild und altmodisch.
»Gut«, sagte sie. »Hast du es mitgebracht?«
»Kieli«, er nickte.
»Meänkieli?«
Er musste lachen.
»Genau, jetzt isst du die Sprache.«
»Ich verstehe gar nichts mehr.«
»Meänkieli bedeutet ›unsere Sprache‹. Aber kieli heißt das hier auch«, sagte er und hielt den grauen Fleischklumpen hoch. »Ich habe ihn von der Elchjagd mitgebracht.«
Bitte nicht der Penis, dachte sie, als ihr die Form auffiel. Das ist ja wohl hoffentlich kein Elchpenis.
»Ich habe sie selbst gekocht«, sagte er. »Es ist Zunge.«
34
Therese war acht Jahre alt, als es wieder soweit war. Es gibt ein Schulfoto aus jener Zeit, ab und zu holt sie es heraus. Ein mageres Mädchen mit Rattenschwänzen und dunklen Ringen unter den Augen. Das Schulfoto wurde während einer schlechten Periode gemacht, das ist am Mund zu sehen. Der versucht zu lächeln, sie weiß, was erwartet wird, auf Fotos soll man fröhlich aussehen. Deshalb sind die Lippen wie Gummihäute über den Milchzähnen gespannt, das sieht hart und etwas schief aus. Alles ist kurz vorm Zerbersten, der ganze Kopf eine bunte Papiertüte, die gleich mit einem Peng zerplatzt.
Es war das sechste oder siebte Mal, dass sie umziehen sollten. Oder das zwölfte. Vielleicht auch das fünfundzwanzigste. Mama hatte gesagt, es sei an der Zeit, und dann hieß es, die alten Spielsachen wegwerfen.
»Wir können doch nicht alles mitnehmen, das wirst du doch verstehen.«
Zeit, den alten Treppenaufgang zu vergessen. Den alten Fahrradständer, den alten Sandhügel mit seinem knirschenden, hohen Schaukelgestell, den alten Laden um die Ecke, die alte Waschküche, den alten, graubewölkten Himmel über dem bereits verbrauchten Norrtälje oder Borås oder Årjäng oder Arboga.
Es war wie mit Kleidung, sie wurde benutzt und bekam Löcher an den Knien oder Füßen, und dann konnte man sie nur noch wegwerfen und neue kaufen. Mama machte nie etwas heil, dafür reichte die Zeit nicht, und auf lange Sicht war es ökonomischer, alles wegzuwerfen. Die Möbel waren auch im Weg, weg mit so vielen wie möglich. Annoncen, und dann misstrauische Fremde, die kamen und sich zur Probe in Sessel setzten, Kommodenschubladen herauszogen und dann eins nach dem anderen zu ihrem Autoanhänger hinuntertrugen. Am nächsten Ort war fast alles anders, Mama besorgte sich Küchenmöbel, die andere benutzt und zerkratzt hatten, und Thereses Bett roch nach anderen Kindern. Aber die Kleidung war immer neu gekauft und roch nach Plastiktüte und Farben. Die Kleider waren das Wichtigste, neue Kleidung in neuen Städten. Dann bekam man leichter Freunde. So war einfacher zu sehen, dass man Stil hatte.
Mama »fand sich nie zurecht«, wie es hieß. Es dauerte mehrere Jahre, bis Therese verstand, dass es dabei um Männer ging. Es ging zu Ende, es ging kaputt, oder es kam nie richtig in Gang. Dann war es ausgespielt, dann konnte man es keine Sekunde länger ertragen. Die Straße wartete, der Horizont lag in der Ferne, man brauchte nur noch die Stellenanzeigen in den verschiedenen Provinzzeitungen in der Bibliothek zu lesen, und schon bekam das Leben eine andere Richtung.
Therese hatte von Treppenhaus zu Treppenhaus, von Kindergarten zu Kindergarten an Mamas Rockzipfel gehangen. Überall gab es neue Kinder mit Legoklötzen im Mund und Barbiepuppen, denen das Haar bis zum Plastikschädel abgeschnitten worden war. Es gab Dreiräder und Spielzeugherde und Puppengeschirr in pastellfarbenem Plastik und Kindergärtnerinnen, die sagten, dass man sich jetzt in die Runde setzte oder Zeit sei für Kekse und Milch oder auch Obst. Und Mama lieferte sie ab und holte sie ab, immer nach Krankenhausseife duftend, immer in Hektik, so dass man wusste, dass man sich schnell anziehen musste.
In Simrishamn lernte sie dann Angelica kennen. Klasse 2 in der Jonebergsskolan, zum Schuljahresbeginn. Es war schön, gleich von Anfang an dabei zu sein, wenn der Schultag auch für die anderen noch neu und ungewohnt war. Man konnte besser eintauchen, wurde
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