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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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lernen, den Weg zum Kiosk, in welchem Park man Eis kaufen konnte, welche Tanten nett waren, welche Kerle glotzten, wo die Bande immer herumstand, auf welchen Baum man klettern konnte und welche Steine im Bürgersteig kippelten. Alles war neu, und dennoch wohlvertraut. Neue Menschen, und dennoch ungefähr so wie im vorherigen Ort. Man durfte sich nicht zu sehr an sie gewöhnen, denn bald würde man ja sowieso wieder fortgehen. Sie durch andere ersetzen. Neue Menschen, die ungefähr genauso gut in die Lücke passten, und dann wieder neue und wieder neue. Therese lernte es, sie versuchte, einen kühlen Kopf zu behalten. Den Teddy nicht zu fest an sich zu drücken, denn er konnte schnell weggerissen werden.
    Nur mit Angelica war es etwas anderes. Sie gab es nur in Simrishamn, sie ähnelte niemandem. Sie war eine neue Farbe, ein Glanz.
    Schon bald tauschten sie Geheimnisse aus. Angelica berichtete Therese eines Tages, dass sie die Größte werden würde.
    »Wieso die Größte?«, hatte Therese gefragt.
    Angelica zuckte mit den Schultern. Einfach nur die Größte. Die Beste. Weil die Welt ihr einfach etwas schuldig war. Sie würde es allen zeigen, sie würde so berühmt werden, dass alle nur »Wow« sagen würden, wenn sie in zwanzig Jahren zurückkam. Sie würde während einer Tournee hier vorbeikommen, von einem Privatchauffeur gefahren, und sie würde an der Jonebergschule Halt machen, und die Schüler würden hysterisch schreiend angelaufen kommen, wenn sie sie erkannten, und Autogramme von ihr haben wollen. Und sie würde ihnen sagen, dass es an diesem Tag keinen Blutpudding zum Mittag geben würde, sondern … sondern  …
    Hier brach sie ab und lutschte auf dem Mittelfinger, gern hätte sie geknabbert, aber dann fiel ihr der Lack ein, und sie sog nur ganz vorsichtig.
    »Steak mit Pommes frites«, sagte Therese, denn das war das Beste, was sie sich denken konnte.
    Aber Angelica wehrte nur irritiert eine Fliege ab. Steak war kleinlich, das war Zigeunerfraß. Und Pommes, das war ja wie Rüben, die simpelste Beilage von allen, so etwas gab man Mastschweinen und Soldaten.
    Nein, es sollten Austern sein.
    »Oh«, sagte Therese.
    »Oder russischer Kaviar. Ich habe mich noch nicht entschieden.«
    »Schmeckt der?«
    Angelica zog ihre Nase mit den kleinen Sommersprossen kraus und sagte, dass der natürlich himmlisch schmeckte! Und außerdem war er teuer, er war so sündhaft teuer und luxuriös, dass nur ein Superstar wie sie ihn sich leisten konnte. Austern und russischer Kaviar für die ganze Jonebergschule. Und Champagner!
    »Aber werden sie dann nicht …?«
    Therese hatte »betrunken« sagen wollen, aber Angelica war bereits mitten bei ihrem umjubelten Auftritt in der Schulaula, wo der Schulleiter und die Lehrer vor Stolz weinen würden darüber, sie einst als Schülerin gehabt zu haben. Hier gab es wieder eine kleine Unsicherheit, sie hatte noch nicht alle Details ihrer Karriere beschlossen. Es ging in Richtung Popsängerin oder Filmstar, vielleicht auch beides gleichzeitig. Aber die Kleider sollten voll mit Glitzer sein, das war klar. Und das Kleid hätte einen Schlitz, und Handschuhe bis über die Ellbogen, und sie sollte ein Mikrofon mit Diamanten haben, echten, geschliffenen Diamanten, die im Scheinwerferlicht funkelten.
    Normalerweise war es immer am einfachsten, in der Menge aufzugehen. Man musste wie alle anderen sein, so konnte man auf Schulhöfen und in Hofeingängen überleben. Zuerst machte man sich vollkommen grau, wie Kies. Wie die Wurst auf dem Schulbrot, wie alte Wolle. Und erst wenn man vollkommen unsichtbar war, ließ man die Farben vorsichtig wieder in die Haut einsickern, und zwar exakt die gleichen Farben, die es auf dem Schulhof gab. Dann wurde man wie die anderen, fast wie echt. Aber nie vollkommen. Es gab immer eine kleine Scharte, eine Geste, eine Spur von Dialekt, die einen entlarvte. Man konnte nie gewinnen. Man war nur eine Kopie, eine ziemlich gut gemachte Kopie. Ein Loch in der Luft, etwas, das andere atmeten.
    Angelica machte es genau andersherum. Sie stellte sich zwischen zwei Spiegel, sie zündete eine Fackel an und sah, wie sich die Flamme vervielfältigte, zu einem Band wurde, einer Perlenkette aus Feuern, die zu ihr gehörten. Menschen waren etwas, das man anschauen sollte, etwas Feuchtes da draußen außerhalb der Silberhaut des Spiegelglases.
    Angelica war es auch, die Therese beibrachte, dass man die Welt wie durch eine Kamera betrachten konnte. Man konnte so tun, als wäre ein Auge

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