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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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forschenden Augen des Jungen bohrten sich in seine.
    »Daran darfst du gar nicht denken! Sie schafft das!«
    »Ja. Wenn nicht Angela, wer dann? Hat ja schon so viel geschafft: uns, die Kleinen und jetzt auch noch das Baby …« Oliver sah seinen Vater von der Seite an: »Und dich. Das ist echt’ne Meisterleistung. Wenn du bedenkst, dass sie vierundzwanzig war, als sie uns alle übernommen hat …«
    »Siehste. Das ist mal ein Wort. Und jetzt gehst du duschen, und mach nicht wieder so eine Schweinerei im Badezimmer, verstanden?«
    Oliver erhob sich, stolperte dabei über seine Fußballtasche und machte leise fluchend Licht im Flur. »Wieso steht hier der ganze Babyscheiß?«
    »Lass das aus, Mensch! Die Kleinen schlafen!«
    Das Licht ging wieder aus. Olivers Kopf erschien erneut in der Tür.
    »Angela ist doch unser Volltreffer! Die kannst du nicht einfach sterben lassen.«
    Röhrdanz zuckte zusammen, schockiert über die Direktheit seines Sohnes. Wusste Oliver mehr, als er zugab?
    »Papa? Machst du mir was zu essen? Ich hab Hunger wie ein Wolf.«
    »Klar. Gib mir zehn Minuten.«
    Röhrdanz sackte förmlich in sich zusammen. Er wollte vom Bett aufstehen und zur Tagesordnung übergehen, aber er schaffte es nicht. Seine Hand tastete nach Angelas
Nachthemd unter dem Kopfkissen. Er presste es an seine Nase. Es roch vertraut. Nach ihrer weichen Umarmung. Nach ihrer letzten Liebesnacht. Nach dem wunderbaren Leben, das er wiederhaben wollte.
    »Angela! Komm zurück!«, murmelte er mit erstickter Stimme. »Angela! Du darfst nicht gehen!«
    Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in dem Stück Stoff. »Ich brauche dich, Mädchen! Und die Kinder brauchen dich auch!« Endlich durfte er weinen. Er weinte und weinte, wiegte sich mit dem Nachthemd hin und her.
    Röhrdanz hörte, wie nebenan die Dusche rauschte. Es war ein tröstliches Geräusch.
    Das Leben ging weiter.
    Er war nicht allein. Er hatte Oliver. Mit ihm konnte er reden. Von Mann zu Mann.
    Als das Rauschen im Bad aufhörte, riss Röhrdanz sich zusammen. Er wischte sich mit dem Nachthemd die Tränen ab und schleppte sich tapfer in die Küche. Mechanisch machte er den Kühlschrank auf. Da war eine Flasche Bier. Und die Wurst. Die Butter und der Rest von den Frikadellen, die Angela gemacht hatte. Ja, das Leben ging weiter.
     
    I n den kommenden Tagen fuhr Röhrdanz jeden Morgen um acht in die Klinik, saß am Bett seiner Frau, nahm ihre Hand und erzählte ihr von den Kindern, bis man ihn nach spätestens einer Stunde wieder wegschickte. »Sie braucht Ruhe.«
    »Belasten Sie sie nicht.«
    »Seien Sie nicht egoistisch.«

    »Bitte, Herr Röhrdanz, gehen Sie. Sie halten hier nur den Betrieb auf.«
    Dann schlich er wie ein geprügelter Hund zum Auto und fuhr in die Firma. Dort saß er an seinem Schreibtisch und starrte Löcher in die Luft. Sein Versuch, Hilfe von der Bild-Zeitung zu bekommen, war auch gescheitert. Zwar nannte ein engagierter Journalist ihm die besten Neurologen Deutschlands, doch keiner der Ärzte konnte Röhrdanz Hoffnung machen.
    Es klopfte, und sein Chef Richard schlüpfte zur Tür herein. Er trug sein karamellfarbenes Tweedjackett mit den Lederflicken am Ellbogen und roch nach einem Sandelholz-Aftershave. Mit einer vertrauten Geste ließ er sich auf Röhrdanz’ Schreibtischkante nieder.
    »Du siehst schlecht aus, Mann. Wie geht es Angela?«
    Röhrdanz konnte nicht antworten. Er drehte seinen Bleistift sinnlos im Anspitzer hin und her.
    »Unsere Angela«, sagte Richard lächelnd. »So jung und schüchtern war sie am Anfang. Aber du hast gleich gesagt: Passt auf, die macht sich noch! Und dann hast du sie uns weggeheiratet …«
    Er schüttelte amüsiert den Kopf und sah dann Röhrdanz’ verstörtes Gesicht: »Du musst mit mir reden, Michael. Nur so kann ich dir helfen.«
    Röhrdanz blinzelte, Tränen liefen über seine Wangen.
    Richard zog die Augenbrauen hoch. »So schlimm?«
    Röhrdanz entfuhr ein abgrundtiefer Seufzer, bevor er mit heiserer Stimme sagte:
    »Sie ist in ihrem eigenen Körper eingeschlossen. Sie kann sich nicht bewegen, nicht sprechen, nicht schlucken,
sich nicht kratzen und nicht protestieren gegen das dumme Zeug, das in ihrer Anwesenheit gesprochen wird. Sie kann sich nicht wehren gegen das Schleimabsaugen, die künstliche Ernährung und Beatmung. Sie kann sich nicht umdrehen in ihrem Bett, nicht schreien …«
    In diesem Moment merkte er, dass er selbst schrie.
    Richard kam um den Schreibtisch herum und legte ihm freundschaftlich die Hand

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