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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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auf die Schulter: »Michael, du bist einer meiner besten Leute. Aber du musst jetzt so viel wie möglich bei Angela sein. Von mir aus hast du erst mal frei.«
    »Die lassen mich gar nicht«, sagte Röhrdanz mit brüchiger Stimme. »Nach spätestens einer Stunde werde ich hinauskomplimentiert.«
    Richard lief mit großen Schritten in seinem Büro auf und ab. »Dann ist es besser, du kommst doch. Du musst unter Menschen, Michael. Vergiss nicht: Wir sind hier alle für dich da. Wir werden alles tun, um dir und Angela zu helfen.«
    Röhrdanz sank in seinen Bürostuhl zurück, ganz überwältigt davon, was für einen tollen Chef er hatte. Er wandte sich eilig ab, denn Angst schnürte ihm die Kehle zu. Wenn Richard ihm von sich aus freigab, wenn seine Kollegen ihn schon wie ein rohes Ei behandelten, dann war er … ein Wrack.
    »Ich mach meinen Job wie immer, nur dass das klar ist«, beeilte er sich zu sagen.
    »In Ordnung«, sagte Richard und strich ihm im Hinausgehen über den Oberarm: »Wir wissen das alle sehr zu schätzen.«

9
    An Denises Geburtstag hatte er die Kleine schon um sechs geweckt. Mit einem krummen und schiefen Kuchen, auf dem vier Kerzen recht wackelig vor sich hin brannten, war er singend in ihr Zimmer gekommen, doch dann versagte ihm die Stimme.
    Denise hatte sich sofort auf das Barbie-Puppenhaus gestürzt, das er nachts noch aufgebaut hatte. Anschließend hatte er eine Stunde lang mit Barbie und Ken »Mama und Papa« gespielt. Ken überschüttete die schlafende Barbie mit Küssen, und daraufhin wachte Barbie aus ihrem Dornröschenschlaf auf.
    »Papa! Da bin ich wieder! Ich habe gut geschlafen«, sagte Denise mit ihrem hohen Kinderstimmchen, und dann brummte sie: »Na endlich, Mama! Ich habe mich schon gelangweilt ohne dich!«
    Das hatte ihm fast das Herz gebrochen.
    Um sieben war Helga mit einem wesentlich besser gelungenen Kuchen aufgetaucht. Auch sie weinte, als sie sah, was Denise spielte. Sie hatte das Geburtstagskind in den Kindergarten gebracht und das Baby wie immer mit zu sich nach Hause genommen.
    Wie in Trance betrat Röhrdanz an diesem Morgen um acht Uhr die Klinik in Düsseldorf, fuhr völlig in Gedanken versunken mit dem Fahrstuhl in den vierten
Stock, klingelte an der Intensivstation, zog sich Kittel und Mundschutz an und eilte in die ihm nun schon so vertraute Zelle. In Erwartung des üblichen Anblicks einer starr und reglos daliegenden Angela legte er sich schon mal die Worte zurecht, mit denen er beschreiben wollte, wie sehr Denise sich über das Puppenhaus gefreut hatte. »Hallo, Liebes, ich bin heute spät dran, weil …«
    Er schlüpfte hinter den Vorhang. Als er das leere Bett sah, wurde er starr vor Schreck. Einen Moment lang stand er nur sprachlos da. Dann fing es in seinem Kopf an zu wummern. Sein Herz zog sich zusammen, als hätte jemand eine eiserne Kette darumgezurrt. Die Apparate waren abgestellt, die Schläuche entfernt. Das Bett war mit steifen weißen Laken frisch überzogen. Es roch nach Desinfektionsmitteln. Das Mobile, das er an der Decke angebracht hatte, war weg. Es war, als wäre er nie hier gewesen. Und Angela auch nicht.
    Angela war … tot. Er rang nach Luft. Seine Beine gaben unter ihm nach, und er griff Halt suchend nach seinem Stuhl. Mit zitternden Knien sank er darauf.
    Ungläubig starrte er auf das leere Bett. Auf die kahlen Wände.
    Sie war heute Nacht gestorben. Man hatte sie bereits weggebracht. Seine Angela.
    Sie lag irgendwo da unten in den Katakomben, mit einem Zettel am Zeh … Er würde runtergehen, sich von seiner toten Frau verabschieden müssen.
    O Gott. Wie sollte er das bloß den Kindern beibringen?

    Denise. An ihrem Geburtstag. Angelas Mutter. Christian. Oliver.
    Röhrdanz’ Magen krampfte sich zusammen, und er fühlte, wie ihm die Galle hochkam.
    Er beugte sich vor, um sich zu übergeben, und griff reflexartig zu einem Spucknapf.
    In dieser Sekunde spürte er die Hand von Schwester Gisela auf seiner Schulter.
    »Mein Gott, Herr Röhrdanz! Wie sind Sie denn hier reingekommen?« Ihre warme Stimme war voller Mitgefühl. »Sie müssen sich ja furchtbar erschrocken haben!«
    Röhrdanz reagierte nicht. Er würgte und würgte. Er wollte sterben. Er wollte mit Angela sterben.
    »Herr Röhrdanz, Ihre Frau ist nach Leverkusen zurückverlegt worden«, hörte er Schwester Gisela wie aus weiter Ferne sagen. »Bitte beruhigen Sie sich …«
    Sie tätschelte ihm mütterlich die Schulter, und durch diese Berührung kam Röhrdanz irgendwie wieder zu sich.

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