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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Chefarzt mir nicht selbst ins Gesicht sagt, dass sie keine Chance hat, glaube ich Ihnen kein Wort.«
    »Ich habe schon gehört, dass Sie schwierig sind«, sagte der Oberarzt säuerlich, während er sich aus der Sitzgruppe quälte. »Ich will nur helfen.« Mit einer Geste der Bescheidenheit breitete er die Arme aus. »Schlafen Sie im Bett neben ihr, bis Ihre Frau eingeschlafen ist. Halten Sie ihre Hand und flüstern Sie ihr liebe Dinge ins Ohr. Dann haben Sie gute Sterbebegleitung geleistet. Das ist doch sehr human.«

10
    »Heute ist Mittwoch, der elfte November. Du weißt doch, was das für ein Tag ist?!«
    Keine Antwort. Starres Zur-Decke-Blicken. Auch hier kam alle zwei Minuten jemand, um Angela den Schleim abzusaugen.
    In den Blicken, die Röhrdanz auffing, standen Mitleid, Befremden, Neugier.
    Röhrdanz ignorierte sie, so gut es ging.
    »Heute ist St. Martin.« Er setzte sich auf das Bett, in dem er inzwischen ein paarmal geschlafen hatte. »Denise und ich haben eine Laterne gebastelt. Frag mich nicht, wie.«
    Lähmende Stille.
    »Du brauchst mich nicht auszulachen. Irgendwie hat das Ding am Ende gebrannt.«
    Panisches Starren an die Decke.
    »Ich meine, geleuchtet, nicht gebrannt. Mach dir keine Sorgen. Denise ist im Martinszug vom Kindergarten mitgegangen.«
    Keine Antwort. Stattdessen machte sich eine Schwester unnötigerweise an seinem Bett zu schaffen und schüttelte das Kissen auf. »Darf ich mal?«
    Röhrdanz hob eine Pobacke, während die eifrige Schwester das Laken emsig glattzurrte.

    »Das hättest du erleben müssen. Ein echtes Pferd haben sie diesmal vorweggehen lassen. So einen Kaltblüter. Die Kindergärtnerin meinte noch, das gibt bestimmt Ärger mit dem Tierschutzverein.« Röhrdanz suchte nach irgendeiner Reaktion im Gesicht seiner Frau. Nichts. Der gleiche weit aufgerissene Mund, der gleiche verkrampfte Körper wie direkt nach ihrer Einlieferung.
    »Dann fragte dieses Fräulein … Dings, du weißt schon, diese alte Jungfer aus dem Kirchenchor, sag schon, wie heißt die gleich …«
    Immer wieder die unerträglich monotonen Geräusche der Apparate. Der rote Strich auf dem Monitor bewegte sich gleichförmig auf und ab.
    Röhrdanz dachte kurz an das kleine Mädchen, das in Düsseldorf am Ende des Ganges gelegen hatte. Es war inzwischen gestorben. In ihrem Zimmer lag schon wieder jemand anders. Ein uralter Patient auf dem Weg in den Tod, den man noch ein bisschen aufhalten wollte, weil das einen besseren Eindruck macht. Wieder saß ein stummer blasser Angehöriger am Bett, hielt die Hand des Sterbenden und wartete darauf, endlich wieder gehen zu können.
    »Ach, ist ja auch egal. Die meinte, einer von den Vätern, die im Zug mitgehen, müsste die Pferdeäpfel aufsammeln. Also dachte ich, wo ich sowieso nicht gerade am Hurraschreien bin, sammle ich die Scheiße auf. Soll ja Glück bringen, Pferdedreck.«
    Nichts. Kein Lachen.
    »Jetzt denkst du bestimmt, ich hätte mir die Hände nicht gewaschen. Hab ich aber. Sogar sterilisiert!«

    Röhrdanz strich mit zwei Fingern sanft über ihren Unterarm. »Findste nicht lustig, was?«
    Keine Antwort.
    »Auf jeden Fall hat die Denise dann mit den anderen noch an den Haustüren geklingelt und was gesungen … haste ihr ja alle noch beigebracht, die Lieder.« Röhrdanz wollte sich am Kopf kratzen, merkte dann aber, dass er eine grüne Haube aufhatte. »Voll blöd, die Kampfmontur hier. Das hab ich wohl dir zu verdanken, dass ich aussehe wie’ne grüne Wurst in der Pelle …«
    Er beugte sich über Angela, die zur Decke starrte: »Jetzt sing ich dir mal vor, was die Denise da bei den Nachbarn zum Besten gegeben hat: Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne, brenne aus mein Licht, brenne aus mein Licht, aber nur meine liebe Laterne nicht …«
    Röhrdanz verstummte, weil ihm die Tränen in die Augen schossen.
    »Das gilt auch für dich, Liebes. Du bist meine liebe Laterne. Ohne dich ist alles ganz dunkel.«
    Er schwieg.
    Angela lag da wie eine Schaufensterpuppe, die jemand vergessen hatte aufzustellen. Aber bei genauem Hinsehen sah er jetzt wieder eine Träne aus ihrem Auge kullern.
    »Ach, nicht weinen! Zum Lachen wollte ich dich bringen. Komm schon, Angela. Die Kleine ist überglücklich mit ihrer Laterne. Eine Riesentüte mit Süßigkeiten hat die zusammengehamstert.«
    Er strich Angela liebevoll über die Wange: »Das ist überhaupt’ne Marke, unsere Kleine. Das raffinierte Biest
hat mich doch seelenruhig nach dem Rührbesen suchen lassen, weil ich das mit

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