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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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rechte Hand.
    »Frau Röhrdanz, jetzt bewegen Sie noch mal die Fingerkuppe! Ihr Mann ist jetzt da!«
    Wieder sprach Professor Leyen wie mit einer Taubstummen.
    »Frohe Weihnachten, mein Schatz«, sagte Röhrdanz ganz leise. »Du musst uns hier nichts vorführen, aber ich würde mich verdammt freuen …«
    Einen Augenblick lang schien die Welt um ihn herum zu erstarren.
    Und in genau diesem Moment bewegte Angela die Fingerkuppe.
    Nur millimeterweise, fast so, als hätte das auch pure Einbildung des Betrachters sein können.
    »Haben Sie das gesehen?«, frohlockte Professor Leyen, und die Schwestern umarmten sich gegenseitig vor Freude.
    »Ja.« Röhrdanz verschlug es erst einmal die Sprache. »Ich kann das kaum glauben …«
    »Da! Sie macht es schon wieder!«
    Tatsächlich. Diesmal war es deutlich zu sehen. Angela hob den kleinen Finger ihrer rechten Hand, langsam
wie eine Schnecke, die kurz aus ihrem Schneckenhaus kommt.
    »Angela! Du kommst zurück! Du kommst zu uns zurück«, stammelte Röhrdanz benommen. Verstohlen wischte er sich die Tränen aus den Augen.
    »Überfordern Sie sie nicht«, mahnte Professor Leyen. »Wir sehen aber, dass das gestrige Erlebnis unglaubliche Energien in ihr freigesetzt haben muss. Sie will zurückkommen. Bisher waren wir nicht sicher, ob sie leben will. Jetzt gibt sie uns ein Zeichen …«
    Röhrdanz musste sich räuspern. »Ja dann, frohe Weihnachten allerseits!« Er blinzelte die Tränen weg, dann sah er, dass sämtliche Augen feucht waren.
    Sie schüttelten einander die Hände, klopften sich auf die Schultern, und Röhrdanz umarmte plötzlich Professor Leyen, der gar nicht wusste, wie ihm geschah.
    »Frohe Weihnachten, Frau Röhrdanz«, rief der Professor, »machen Sie weiter so!« Alle verabschiedeten sich von der Patientin, damit sie wieder zur Ruhe kam.
    »Das kann ein Anfang sein«, meinte Professor Leyen schließlich, als Röhrdanz in seinem Sprechzimmer saß. »Es darf jetzt keinen Stillstand mehr geben. Ab sofort wird mit ihr trainiert.« Er lächelte fein: »Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, Herr Röhrdanz. Die Ärzte aus Düsseldorf haben mich ein paarmal angerufen. Sie konnten es nicht fassen, dass ich damals auf Sie gehört und die Geräte nicht abgestellt habe.«
    Röhrdanz sah ihn fragend an.
    »Sie sind sich alle einig, dass ich das Leiden Ihrer Frau
nur unnötig verlängert habe, und haben mir diesbezüglich schwere Vorwürfe gemacht.«
    Röhrdanz presste die Lippen aufeinander und schwieg.
    »Ich war mir selbst nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung war, und habe mir unter den Kollegen einige erbitterte Feinde gemacht. Sie munkeln, ich wollte mich nur wichtigmachen und mit dem Fall Röhrdanz in die Geschichte eingehen.«
    »Na und?«, sagte Röhrdanz unbeeindruckt. »Lassen Sie die Leute doch reden!«
    Professor Leyen strahlte über das ganze Gesicht: »Da habe ich wohl von Ihnen noch etwas zu lernen, Herr Röhrdanz.« Sein Tonfall wurde wieder sachlich: »Es wird sicher Monate dauern, bis sich deutliche Fortschritte zeigen, aber wir dürfen nicht aufgeben.«
    »Welche Auswirkungen hat das vermutlich auf das Baby?«, fragte Röhrdanz unvermittelt.
    »Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Wir tun unser Bestes. Aber machen Sie sich bitte nicht allzu große Hoffnungen.«
    Röhrdanz senkte den Kopf. Hatte er sich zu früh gefreut?
    Professor Leyen sah Röhrdanz ernst an. »Ohne Ihnen die Weihnachtsfreude verderben zu wollen: Haben Sie schon mal weitergedacht?«
    »Wie … wie meinen Sie das?«
    »Wer soll sich um das möglicherweise stark behinderte Kind kümmern? Ihre Schwiegermutter?«
    »Nein.«

    Röhrdanz verkniff es sich, Professor Leyen zu sagen, dass Helga auch so schon mit der Situation überfordert war.
    »Sie müssten eine Kinderpflegerin einstellen, die speziell für behinderte Kinder ausgebildet ist. Haben Sie diesen Kostenfaktor mit einkalkuliert?«, riss ihn Professor Leyen aus seinen traurigen Gedanken. »Und hätte die Pflegerin in Ihrer Wohnung Platz?«
    Röhrdanz senkte den Kopf und schwieg.
    »Ihr Kind wird höchstwahrscheinlich ein sogenanntes Frühchen sein. Es wird im Brutkasten liegen, und unsere Klinik ist für solche Fälle nicht gerüstet. Das ist Ihnen alles bewusst, ja?«
    Röhrdanz nickte stumm. Ja, das war ihm alles bewusst.
    »Ich bin fest davon überzeugt, dass meine Frau nur deswegen noch lebt, weil sie weiß, dass sie ein Kind im Bauch hat.«
    Professor Leyen nickte. Er stand auf, drückte ihm die Hand und sagte:

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