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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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»Ja, Herr Röhrdanz, das glaube ich auch. Sollen meine Kollegen reden, was sie wollen. Heute ist der erste Tag, an dem ich denke, dass wir alles richtig gemacht haben.«
     
    D ie Wintertage schlichen dahin. Nach der ersten Aufregung um den Fall Röhrdanz hatten sich fast alle Nachbarn, Freunde und Bekannten zurückgezogen.
    Der erste Besuch bei der entstellten Patientin war für fast alle auch der letzte gewesen.
    Was Röhrdanz weit mehr schmerzte, war, dass man
ihn mit dem Haushalt und den Kindern schlichtweg im Stich ließ. Niemand kam auf die Idee, ihm einmal beim Putzen, Waschen, Bügeln oder Kochen zur Hand zu gehen. Das war alles nicht … sensationell genug. Nichts, womit man protzen konnte.
    Röhrdanz war viel zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten, und so nahm er Angelas Kochbücher zur Hand und wagte sich nach und nach an die einfacheren Gerichte. Gemeinsam mit Oliver schaffte er es meistens, eine essbare Mahlzeit zusammenzubrutzeln. Vater und Sohn kamen sich in dieser Zeit sehr nahe, und aus dem verwahrlosten jungen Burschen, den Röhrdanz bei seiner Exfrau vorgefunden hatte, wurde ein vernünftiger junger Mann. Wenn Philip nicht bei Helga war, holte Oliver seine kleinen Geschwister vom Kindergarten ab, spielte mit ihnen und kümmerte sich rührend um sie. In gewisser Weise schien er Angela so die Liebe zurückzugeben, die sie ihm und Christian damals geschenkt hatte.
    »Die Frau, die dich mal abbekommt, kann froh sein«, knurrte Röhrdanz eines Abends, als Oliver am Bügelbrett stand und die winzigen Klamotten seiner kleinen Geschwister zusammenlegte.
    »Ach, Papa, die Frau, die dich mal abbekommen hat, kann auch froh sein«, antwortete Oliver mit einem traurigen Lächeln. »Wenn du nicht so verbissen um sie kämpfen würdest, wäre sie schon längst unter der Erde.«
    »Und der kleine Wurm auch«, sagte Röhrdanz, während er mit hochgekrempelten Hemdsärmeln die Herdplatten wienerte. Dann stellte er die Teller in den Schrank, räumte die restlichen Lebensmittel wieder in den Kühlschrank
und fegte die Krümel unter den Kinderstühlchen auf. Denise und Philip hatten wieder ordentlich Dreck gemacht. Bald würde hier ein drittes Baby rumkrümeln …
    »Den kleinen Wurm kriegen wir auch noch durch«, meinte Oliver schließlich. »Mit Babys kenne ich mich jetzt aus.«
    »Wir werden das Kind schon schaukeln«, murmelte Röhrdanz, griff nach dem Müll und stellte ihn an die Tür, damit er am nächsten Morgen nicht vergaß, ihn rauszutragen.
    Jeder ging schweigend seiner Arbeit nach. Oliver wickelte Söckchen ineinander und sortierte Hemdchen und Höschen, die unter seinen großen Jungenhänden seltsam anmuteten.
    Röhrdanz hatte die Brille aufgesetzt. Er schrieb die Einkaufsliste für den nächsten Tag.
    »Was sollen wir morgen essen?«
    »Was wir immer essen«, sagte Oliver. »Bratkartoffeln mit Speck, Bratkartoffeln mit Hackfleischbällchen, Bratkartoffeln mit Spiegelei oder Bratkartoffeln mit Fischstäbchen.«
    Das Mobile an der Küchendecke drehte sich leise in der Heizungsluft.
    Röhrdanz bückte sich, sammelte das überall herumliegende Kinderspielzeug ein, räumte das Schaukelpferd in die Ecke, schlurfte müde durch den Flur und räumte die kleinen Wäschestapel in die Kommodenschubladen.
    Oliver stand gebeugt am Bügelbrett und kämpfte gerade mit dem Kragen eines Oberhemdes. Plötzlich füllten
sich seine Augen mit Tränen, und er wischte sich hastig mit einem Lätzchen über das Gesicht.
    Röhrdanz legte seinem Sohn etwas unbeholfen die Hand auf die Schulter.
    »Du vermisst Angela auch, was, Junge?«
    Oliver unterdrückte ein Schluchzen. Er ließ das Hemd fallen, das er gerade zu bügeln versuchte, drehte sich um und sank seinem Vater an die Brust.
    So standen sie da, zwei müde Krieger, um zehn Uhr abends in einer kleinen Wohnküche, erschöpft, ausgelaugt und unendlich traurig, wie zwei übrig gebliebene Figuren auf einem Schachbrett, nachdem die Königin schon verloren ist.
    Es war ihnen beiden ein bisschen peinlich, aber es sah sie ja niemand. Ihnen fehlten die Worte, um sich zu trösten, sie hielten sich einfach nur aneinander fest.
    Und das Mobile an der Küchendecke drehte sich immer noch.

24
    »Herr Röhrdanz, es ist so weit.«
    Der Gynäkologe und der Internist betraten Angelas Zimmer und machten einen ziemlich geschäftigen Eindruck. Der Internist, ein großer, dicklicher Mann mit Vollbart, den Röhrdanz nicht besonders mochte, hielt eine lange Nadel in der Hand.
    »Was haben Sie

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