Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
keinen Zweifel. Joseph Hattan hatte die Tasche der Toten in seinen Händen.“
„Ich werde noch verrückt“, ächzte Jack Potter mit hervorquellenden Augen. „Ich werde tatsächlich noch wahnsinnig, Sir! Könnten Sie uns nicht endlich einmal mit Joseph zufrieden lassen. Er wurde im Pentonville-Krematorium verbrannt. Das stand sogar in der Zeitung. Und nun kommen Sie daher und wollen uns Gespensterfurcht ein jagen.“
Hilfsinspektor Kirk biß sich auf die Lippen. Er stand wieder einmal da und wußte nicht mehr weiter. Jack Potter hatte ja recht. Er selbst war der gleichen Meinung. Da war irgendeine Teufelei im Gange, hinter deren Kulissen er bis jetzt nicht schauen konnte. Ein mysteriöses Geheimnis schwebte über diesen Fingerabdrücken. Sie waren aber zweifellos echt. Man hatte auf dem Lackleder der Tasche neben den Fingerabdrücken auch noch Schweiß und Talgfett festgestellt. Ein Zeichen also, daß die Abdrücke von einer lebenden Hand stammten.
„Kommen Sie morgen ins Präsidium“, sagte Kirk müde zu Jack Potter. „Sie müssen dort zu Protokoll geben, wie Sie Evelyn Bloom aufgefunden haben. Der Obsthändler Francis Miller wird ebenfalls geladen werden.“
Percy Coogan, in dessen Wohnung Evelyn Bloom die letzte Nacht ihres Lebens verbracht hatte, wischte sich aufatmend den Schweiß von der Stirn. Die größte Gefahr war vorüber. Er sah mit grenzenloser Erleichterung, daß sich Hilfsinspektor Kirk zum Gehen anschickte. Kurz nachher ging er wirklich. Enttäuscht und mißmutig warf er die Tür hinter sich zu.
8
Es war am nächsten Abend. Stanley Calvin saß einsam am Kamin der großen Villa, die am Rande des Green Parkes gelegen war. Er lehnte in einem Sessel und hatte ein Buch auf den Knien liegen. Aber er las nicht. Er starrte immer wieder in die züngelnden Flammen. Im Kamin heulte der Wind. Draußen tobte eine stürmische Herbstnacht. Genauso war es vor vierzehn Tagen, als Vater ermordet wurde, dachte Stanley Calvin in schwermütigem Grübeln. Seither ist dieses Haus wie tot. Reginald treibt sich die halben Nächte in zweifelhaften Kneipen herum. Er wird auch heute erst wieder gegen Morgen heimkommen. Was Wunder, daß man sich hier wie in einer Totengruft fühlt.
Er holte sich eine Flasche Wein und schenkte sich ein Glas ein. Es war uralter Burgunder, ein Trunk für festliche Gelegenheiten. Dunkel und ölig schimmerte er durch das Glas. Er war schwer und berauschend. Aber die Stimmung Stanley Calvins wurde nicht heiterer davon. Er sinnierte noch immer brütend vor sich hin. Auf seinem männlich herben Gesicht lagen dunkle Schatten. Als er die Hintertür gehen hörte, hob er rasch den Kopf. Sollte Reginald schon heimgekommen sein? Warum kam er dann nicht in die Halle? Er mußte doch das Licht gesehen haben? Stanley Calvin horchte. Er hörte leichtfüßige Schritte die Seitentreppe hinaufhuschen. Dann kam noch jemand. Er trat schwerer und wuchtiger auf. Kurz nachher hörte man von oben dünnes Gekicher und das Raunen einer heiseren Männerstimme. Stanley Calvin runzelte die Stirn. Er wußte genau, was das zu bedeuten hatte. Um seine Mundwinkel lief ein verächtliches Zucken. Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, da tappten wieder Schritte die Treppe herunter. Diesmal kamen sie direkt in die Halle. Sie näherten sich dem Kamin. Stanley Calvin hob den Kopf. Reginald York stand vor ihm. Er war ein Vetter mütterlicherseits, den der alte Lord Calvin vor Jahren ins Haus genommen hatte. Seither lebte er hier und spielte den leichtsinnigen Nichtstuer. Das hübsche, etwas weibische Gesicht war vom Trinken gerötet. In den Augen war ein schwimmender Glanz.
„Was willst du?“ fragte Stanley Calvin ungehalten.
„Ich möchte mit dir reden.“
„Jetzt? Hast du nichts Besseres zu tun? Wartet nicht oben eine Frau auf dich?“
Reginald verbarg seine Verlegenheit hinter einem dünnen Lachen. „Es ist Lucy Fox aus der Sidney Bar“, stotterte er. „Ich habe sie mitgenommen. Allein ist es mir zu langweilig in diesem trübseligen Kasten.“
„Wie kann man nur in einem solchen Lokal verkehren“, murmelte Stanley Calvin kopfschüttelnd. „Als damals jener Schurke in unser Haus einbrach, da stellte es sich nachher heraus, daß er auch in der Sidney Bar verkehrte . . .“
„Du meinst Joseph Hattan?“
„Hm.“
„Was besagt das schon“, murmelte Reginald York achselzuckend. „Er verkehrt ja jetzt nicht mehr dort. Man hat ihn gehängt. Er ist tot. Kein Mensch spricht mehr von ihm in der Sidney
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