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Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Titel: Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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man sie hinausgeworfen. Bedrückt und kleinlaut schlich sie aus dem Zimmer. Draußen war es finster. Stanley Calvin war wirklich schon schlafen gegangen. Er hatte alle Lichter gelöscht. Fluchend tastete Lucy Fox nach dem Schalter. Sie konnte ihn nirgends finden. Diese alten Herrschaftshäuser hatten ihre eigenen Gesetze und waren nicht so modern eingerichtet wie neuzeitliche Villen.
    „Das hat mir noch gefehlt“, knurrte Lucy Fox und steuerte vorsichtig auf die Treppe zu. Behutsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Da sie keinen anderen Reichtum besaß als ihr hübsches Gesicht, wollte sie sich auf keinen Fall das Nasenbein zerschlagen. Mit viel Mühe erreichte sie die Mitteltreppe. Sie faßte nach dem Geländer und schlich die Stufen hinunter. Jetzt war es plötzlich nicht mehr so finster wie vorher. Im Kamin flackerte noch etwas Glut. Sie reichte gerade aus, ein rötliches Dämmerlicht zu schaffen. Lucy Fox schritt rascher aus. Sie hatte die letzten Stufen hinter sich und bewegte sich auf das Portal zu. Zwanzig Yard noch. Dann hatte sie es geschafft. Sie rechnete mit keinem Zwischenfall mehr. Aber gerade in diesem Moment nahte das Verhängnis. Von einer Sekunde zur ändern stand sie einem bulligen Schatten gegenüber, der riesenhaft vor ihr aufwuchst. Er versperrte ihr den Weg, reglos und gespenstisch wie der Tod. Lucy Fox blieb wie angewurzelt stehen. Ihr träges Gehirn arbeitete auf einmal wie rasend. Gehetzt drängten sich die Gedanken. Das Herz schlug in raschen Stößen. Vom ersten Augenblick an wußte Lucy Fox, daß dieser Schatten nichts Gutes bedeuten konnte. Sie wußte, was sich erst vor kurzem in diesem Haus ereignet hatte. Sollte es heute nacht zu einer neuen Katastrophe kommen? Und war ausgerechnet sie, Lucy Fox, dazu auserwählt, das Opfer eines diabolischen Schurken zu werden? Sie wich zurück und streckte ängstlich die Hände vor. Ein gellender Hilfeschrei brach von ihren Lippen. Im nächsten Moment wurde sie brutal an die Wand gerissen. Zehn klauenförmige Finger gruben sich in ihren Hals. Sie waren schlimmer als die Fänge eines Raubvogels. Scharf schnitten die Nägel in ihr Fleisch. Die Schlagadern wurden abgeschnürt.  
    Luft, dachte Lucy Fox entsetzt. Ich bekomme ja keine Luft mehr. Dieser Satan würgt mich zu Tode. Sie mußte mit dem Letzten rechnen. Als es ihr schwarz vor den Augen wurde, dachte sie, es wäre schon der Tod, der seinen gierigen Rachen aufriß. Sie spürte auf einmal keine Schmerzen mehr. Eine dunkle Ohnmacht nahm ihr das Bewußtsein. Und dann wurde es plötzlich wieder hell vor ihren Augen. Die Krallen lösten sich von ihrem Hals. Das entsetzliche Würgen hörte auf. Sie konnte wieder atmen. Gierig sog sie die köstliche Luft ein. Ihre Blicke belebten sich. Sie konnte auf einmal wieder alles begreifen, was um sie geschah. Sie sah, daß Stanley Calvin vor ihr stand. Er erschien ihr wie ein Gott in dieser Sekunde. Er hatte sie gerettet, er ganz allein.
    „Wie fühlen Sie sich?“ fragte er mit seiner dunklen Stimme.
    „Mir geht es gut“, sagte Lucy Fox mit mühsamem Lächeln. „Vertrödeln Sie keine Zeit mit mir. Verfolgen Sie lieber den anderen. Er ist ein Tier in Menschengestalt.“
    Stanley Calvin ließ sich das nicht zweimal sagen. Er hastete auf die Tür zu und stürmte hinaus in die tosende Herbstnacht. In einiger Entfernung sah er einen Mann mit langen Sätzen flüchten. Der Unbekannte gewann immer größeren Abstand. Schon nach wenigen Sekunden mußte er hinter den grauen Regenwänden verschwunden sein. Stanley Calvin wollte sein Vorhaben schon aufgeben, da sah er, daß der andere durch den Lichtkreis einer Laterne lief. Für einen kurzen Moment war seine Gestalt voll sichtbar. Man konnte sogar seine Kleidung erkennen. Er trug einen Trenchcoat mit dunklem Pelzkragen und einen Hut mit auffällig breiter Krempe. Das auffälligste an ihm waren hohe glänzende Schaftstiefel. Stanley Calvin stand da und glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Das gleiche Bild hatte er schon einmal gesehen. Es war, als würde sich noch einmal alles wiederholen, oder als hätte ein göttliches Wesen die Zeit einfach um ein paar Wochen zurückgestellt. Genauso war es damals, als Vater starb, dachte er gepeinigt. Es war seinerzeit der gleiche Mann, den ich verfolgte. Er lief mit denselben Bewegungen. Er trug haargenau die gleiche Kleidung.
    Kopfschüttelnd und völlig verstört trat Stanley Calvin den Rückzug an. Mit hämmernden Pulsen und jagendem Atem trat er in die Halle des

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