Der Mann, der's wert ist
war. Zwischen den meisten Leuten ist nie was. Ich finde Tanja
toll, ich unterhalte mich gerne mit ihr, aber mit ihr zusammenleben — da
versagt meine Vorstellungskraft. Ihre auch. Das ist alles.«
Gut möglich, daß das alles ist,
denke ich und sage: »Ich bin so müde, gehen wir ins Bett.« Und wie ich das so
sage, denke ich, daß Leute, die uns nicht kennen, jetzt denken könnten, wir
gingen zusammen ins Bett. Aber da versagt meine Vorstellungskraft, obwohl man
im Dunkeln Rufus’ Bärte nicht sehen würde. Und obwohl ich mir vorstellen kann,
daß Rufus warm ist und weich und vielleicht auch stark — aber nach einem Mann
wie Benedikt neben einem Mann wie Rufus aufzuwachen, das kann ich mir nicht
vorstellen. Und auch Tanjas neuer Werner sieht so gut aus. Aber wer sieht im
Vergleich zu Rufus nicht blendend aus?!
»Warum hast du eigentlich
überall Bärte?« habe ich Rufus mal gefragt. Er hat gesagt, das sei praktisch.
Und er hätte mal eine Bartflechte gehabt, einen Ausschlag am Kinn und über der
Lippe, der verschwand, als er sich nicht mehr rasierte. Wahrscheinlich ist es
auch praktisch, nur eine Augenbraue zu haben. Und ich habe auch schon gesagt:
»Ich sollte mal zum Friseur gehen und mir eine ganz andere Frisur machen
lassen« und gehofft, er würde sagen, daß er mitgeht und irgendwas gegen seinen
Deppenpony unternimmt, aber er sagte nur: »Ich finde sie so schön, wie sie
ist.« Es hat keinen Zweck.
Verglichen mit Benedikt wäre
Rufus ein schäbiger Restposten. Ein Mann ist kein Teppich — trotzdem.
»Also, gehen wir ins Bett«,
sagt auch Rufus. »Gute Nacht, bis morgen früh.«
Ich bin froh, daß ich jetzt
jeden Abend so todmüde bin, daß ich sofort einschlafe. Nur morgens beim
Aufwachen ist mein erster Gedanke: Wo hat Benedikt heute nacht geschlafen? Was
wäre, wenn Angela bei der Geburt stirbt? Oder das Baby?
Aber man kann auch mit Walkman
auf dem Kopf die Zähne putzen, sich anziehen und sogar kämmen, und die Musik
überdröhnt zuverlässig alle Stimmen in meinem Kopf.
86. Kapitel
Der Marmorspezialist ist ein
Türke, der kaum Deutsch spricht. Er sieht flüchtig über die Marmormuster, die ich
in Kunstzeitschriften gefunden habe, Abbildungen von rosamarmorierten Wänden in
Kirchen und Schlössern, betrachtet etwas interessierter die bereitstehenden
Wandfarben und sagt nur: »Ich morge wiederkomme, mit kleine Kollege.«
Als ich am nächsten Morgen um
sieben ins Foyer komme, hat er bereits angefangen, einen der zwei Meter breiten
Streifen, die marmoriert werden sollen, transparent rosa zu streichen, und er
hat längs einen Mittelstrich gezogen. Neben ihm steht sein Lehrling, höchstens
einsfünfzig groß, höchstens fünfzehn Jahre alt.
Der Maler malt, und der
Lehrling sieht zu. Sie reden türkisch miteinander und drehen sich nicht um, als
ich guten Morgen sage. Als die ganze Fläche rosa gestrichen ist, tupfen beide
mit Schwämmen auf der feuchten Farbe rum. Dadurch wird sie leicht wolkig. Dann
malt der Maler mit einem dünnen Pinsel und hellbrauner Farbe diagonal von oben
links nach unten rechts und von unten links nach oben rechts ein grobes,
unregelmäßiges Maschendrahtgitter. Und er malt das Gitter nur bis zur Mitte der
rosa Fläche. Es sieht scheußlich aus, wie eine Tapete, die in Prospekten als
Tapete-für-junge-Menschen gepriesen wird. »Warum malen Sie nur die Hälfte der
Fläche?« frage ich, »der ganze Streifen muß marmoriert werden.«
Der kleine Türke sagt: »Der
Meister malt Marmor nur in schmalen Streifen, sonst sieht er unnatürlich aus.
Er malt ihn so, daß es aussieht, als ob zwei Marmorplatten aneinanderliegen.
Mein Meister malt keinen Phantasiemarmor, nur echten Marmor.« Aha. Mehr wird
nicht mitgeteilt. Wenigstens scheint dieser Meister zu wissen, was er tut. Auch
wenn er vorläufig nur Maschendraht malt und dann die Farbe großenteils wieder
abwischt. Er malt eine weitere Lage Maschendraht in Hellgrau fast parallel zu
den hellbraunen Maschen, spritzt mit dem Pinsel verdünnte Farbe auf das
Maschendrahtmuster und tupft die Flecken mit einem zerknitterten Lappen ab. Am
Nachmittag malt er mit einem flachen, eckigen Pinsel und mit stark verdünnter
Farbe durchsichtige Adern über die Wand. Und plötzlich habe ich Hoffnung, es
könnte Marmor werden.
Er malt das andere halbe
Marmorfeld. An der Mittellinie trifft das Gittermuster nicht aufeinander, aber
trotzdem wirkt es wie eine einheitliche Fläche — wie zwei echte Marmorplatten
aneinander! Um vier
Weitere Kostenlose Bücher