Der Mann, der's wert ist
gemalt wurden.
Dann zu Hagen und von Müller.
Eine Verkäuferin erkannte mich sofort: »Grüß Gott, Sie sind doch die Kundin,
die den Teppich der Hellseherin gekauft hat, wie geht’s denn so?« Sie war eher
enttäuscht, daß sich seit dem Eintreffen des Teppichs im Hotel keine
Unglücksfälle ereignet hatten, und half heftig, einen passenden
Tischdeckenstoff zu finden. Sie fand es eine gute Idee, das FH-Monogramm so zu
verbergen: »Muß ja keiner wissen, daß es dieser Teppich ist«, sagte sie und
zeigte mir Muster kompliziertester Tischdeckendrapierungen und überzeugte mich,
daß eine einfache Tischdecke zu langweilig wäre. Sie empfahl eine Drapierung,
bei der an ein rundes Stück Stoff, im Durchmesser etwas größer als die
Tischplatte, eine bodenlange Röhre angenäht wird, und in die Naht um die
Tischkante und in die rückwärtige Längsnaht werden Stoffbahnen eingenäht, deren
lose Enden man vorn dekorativ verknüpft. Ich schrieb genau auf, wie es gemacht
wird, damit ich es Frau Hedderich, die alles nähen wollte, erklären konnte.
Weil der Tisch auf dem üppigen Teppich und vor dem Hintergrund des alten
Aufzugs stehen würde, dessen Gitter, frisch weiß lackiert, wie ein
Spitzenmuster wirkte, durfte der Stoff keine weiteren Effekte bieten: Ich nahm
einen ungemusterten, matten blauen Seidenrips. Wie selbstverständlich wurden
mir zehn Prozent Rabatt abgezogen.
Weil der Stoff elend schwer
war, nahm ich ein Taxi zum Bahnhof und fühlte mich sehr professionell mit
meiner Hagen und von Müller-Tüte.
Erst im Zug überkam mich
Traurigkeit. Oder war es der Kater von gestern? Nun fuhr ich zurück, und in
einigen Wochen würde ich wieder zurückfahren. Und mein Leben neu beginnen.
Rufus hatte mir neulich etwas erzählt von der »Irreversibilität der
Phylogenese«, das heißt, hatte er erklärt, wenn Lebewesen einen höheren
Entwicklungsstand erreicht haben, setzt sich der höhere Entwicklungsstand
durch. Aber dann fiel mir ein, daß Rufus auch gesagt hatte, das gelte nur für
die gesamte Entwicklung einer Art von Lebewesen, jedes Mitglied dieser Art
hätte trotzdem die Chance, ein totaler genetischer Flop zu werden. Wir waren
auf das Thema gekommen, weil mich Rufus gefragt hatte, falls es zwischen Benedikt
und Angela zum Bruch käme, ob ich dann zu Benedikt zurückgehen wollte?
Und da hatte ich gesagt: »Nein.
Es gibt kein Zurück.« Weil ich Angst hätte, daß mit Benedikt das gleiche wieder
passieren kann. Und Benedikt blieb von nun an für immer der Vater von Angelas
Kind. Nein, ich wollte nicht zurück. Aber ich wußte nur, was ich nicht wollte.
In meinem Kopf ging alles
durcheinander. Ich kam mir vor, als wäre ich dazu verdammt, mein Leben lang den
angepappten Anfang eines Tesafilms auf einer Tesafilmrolle zu finden. Wie viele
Stunden meines Lebens hatte ich schon damit verbracht, den Anfang einer
Tesafilmrolle zu finden? Ewigkeiten tastet man die Rolle ab, bis man den
angeklebten Anfang findet, kratzt ihn mühsam los, und kaum hat man das
Stückchen, das man braucht, abgeschnitten, klebt der Anfang schon wieder an der
Rolle. Sicher, es gibt Menschen, die haben ihren Tesafilm auf
Tesafilmabrollgeräten, bei denen nie die Rolle rausrutscht, mit tadellos
funktionierender Abreißkante, die haben noch nie im Leben einen Anfang gesucht.
Diese Menschen haben auch immer eine Ersatzrolle Tesafilm parat, haben
wahrscheinlich schon von Geburt an eine Lebensversicherung und wissen immer, wo
es langgeht. Ich gehöre nicht dazu. Und ich hatte Angst, allein in die Wohnung
zurückzuziehen, in der ich mit Benedikt so glücklich gewesen war.
87. Kapitel
Als ich Rufus von meinen neuen
Job-Aussichten erzählte, sagte er zuerst gar nichts. Nur seine Augenbraue ging
hoch. Dann holte er hektisch einen Terminkalender: »Wir müssen einen Zeitplan
machen. Ich hab mir überlegt, daß ich eine große Eröffnung will, zu der auch
die Presse eingeladen wird, also brauchen wir einen Termin, der rechtzeitig
bekanntgemacht wird. Was meinst du, wann alles fertig ist?«
»In vier Wochen wird auch die
erste Etage fertig sein, und bis dahin müssen die Sachen von Hagen und von
Müller gekommen sein, der Flurläufer ist schnell verlegt, und bis in vier
Wochen ist auch der Frühstücksraum fertig und das gesamte Foyer, also ich denke
Anfang September, spätestens Mitte September, ist alles vorbei.«
»Das ist viel zu früh«, sagte
Rufus. »Falls irgendwas nicht klappt, und irgendwas wird bestimmt nicht
klappen,
Weitere Kostenlose Bücher