Der Mann, der's wert ist
verlassen hatte.
Als ich rot gedreßt ins Foyer
kam, sagte Rufus, er hätte mich zuerst nicht erkannt. Er sagte es so ernsthaft,
daß ich mich fragte, wie ich sonst aussehe, und als ich darüber nachdachte,
erschien es mir leider möglich, daß er mich tatsächlich nicht erkannt hatte:
Sonst trat ich hier nur als graue Putzmaus oder grauer Handwerkerschreck in
Erscheinung.
Tanja wartete schon im
Gartenlokal, ganz allein saß sie in der hintersten Ecke, sie winkte uns zu und
wirkte überhaupt nicht wie eine Frischgetrennte. Und sie trug die großen
brillantbestückten Ohrringe von Werner.
Nach der üblichen Du-bist-aber-braun!-Wie-war-das-Wetter-Begrüßung
und nachdem wir uns Weißbier bestellt hatten, fragte Rufus ohne Umschweife:
»Liebe Tanja, erzähl uns, warum hast du dich von Werner getrennt?«
»Sexuelle Unverträglichkeit«,
sagte Tanja prompt.
»Was heißt das?«
»Das ist ein delikates Thema«,
lachte Tanja, »aber eigentlich ist es ein alltägliches Phänomen. Also ich will
mal behaupten, daß ich keinerlei perverse Neigungen habe und Werner auch nicht,
aber sagen wir mal so: Er ist mir sexuell etwas zu kunstgewerblich. Zuviel
Schnörkel, zuviel Inszenierung. Er hat eben gerne viel Action.«
Rufus dachte nach. Nach
reiflicher Überlegung sagte er: »Glaubst du nicht, daß man in der Liebe
Kompromisse machen kann? Aus Liebe?«
Tanja macht keine Kompromisse,
dachte ich, für Tanja kommt nur ein makelloser Mann in Frage.
»Oh, ich bin durchaus der
Meinung, daß man in jeder Beziehung viele Kompromisse machen muß«, rief Tanja
zu meiner Überraschung, »aber sexuelle Unverträglichkeit halte ich für ein
Problem, das im Lauf der Zeit nie besser, nur schlimmer wird. Wenn man sexuell
nicht zusammenpaßt, bedeuten Kompromisse nur Frustration.«
»Wie hat Werner darauf
reagiert?« fragte ich. Ich identifiziere mich immer mit den Verlassenen.
»Wir haben uns in aller
Freundschaft von der Idee einer gemeinsamen Zukunft getrennt. Werner ist die
unerschütterliche Frohnatur. Inklusive einer deutlichen Neigung zum Fremdgehen,
das hab ich im Urlaub deutlich gemerkt. Und wenn man mit solch einem Mann von
Anfang an sexuelle Probleme hat, kann man mit der Stoppuhr drauf warten, bis er
fremdgeht. Und das könnte ich nicht tolerieren.«
»Aber die Ohrringe von ihm hast
du behalten«, sagte ich. »Natürlich behalte ich sie. Glaubst du etwa, ich hätte
die geschenkt bekommen?«
»Du hast selbst gesagt, daß sie
von Werner sind.«
»Natürlich sind sie von Werner,
aber ich habe sie selbstverständlich bezahlt. Zu einem realen
Freundschaftspreis. Werner ist ein großzügiger Mensch, aber er kann mir nicht
nach ein paar Wochen Bekanntschaft so teure Ohrringe schenken. So was gibt’s
nur in Kitschromanen und im Werbefernsehen. Auch ein Juwelier kann seinen
Schmuck nicht verschenken. Genausowenig, wie ich Aktien verschenken kann, nur
weil ich bei einer Bank arbeite.«
»Ich dachte auch, du hättest
sie geschenkt bekommen«, sagte Rufus.
»Auch wenn ich sie geschenkt
bekommen hätte, würde ich nicht auf die Idee kommen, sie zurückzugeben. Denn
bis ein Mann was verschenkt, hat er selbst genügend dafür bekommen. Nichts ist
so teuer bezahlt wie Schmuck, den man von Männern geschenkt bekommt.« Und dann
fragte sie mich: »Hast du endlich ausgerechnet, was deine Veilchenohrringe
gekostet haben?« Nein, hatte ich nicht. Ich schwieg.
Zum Glück sagte Rufus: »Also,
dann auf einen Neuen.«
»Viola kennt den Neuen schon«,
lachte Tanja. »Er kommt nachher vorbei.«
»Wer?« Einen Augenblick blieb
mein Herz stehen. Wen kannte ich denn? Benedikt?! Nein, das konnte nicht sein.
Rufus! Nein. Jemand aus dem Kochkurs? »Wer?«
»Ich gebe meinem alten Freund
Detlef eine neue Chance.«
»Ach, Detlef!« rief Rufus.
»Zurück zu Detlef?« rief ich
genauso erstaunt.
»Warum denn nicht? Er hat einen
gewissen Bonus, er hatte sich schließlich früher einige Zeit bewährt. Und warum
soll ich nun Ewigkeiten nach einem anderen suchen? Ich bin keine achtzehn mehr
und nicht mehr so naiv zu glauben, daß man mit jeder sexuellen Erfahrung die
große Leidenschaft erlebt. Vermutlich stellt man bei sorgfältiger Marktanalyse
viel häufiger fest, daß anderswo nichts Besseres geboten wird.«
»Aber ihr habt euch dauernd
gestritten!«
»Der gute Detlef hat in den
acht Monaten, die wir getrennt waren, einiges dazu gelernt. Zum Beispiel ein
bißchen putzen. Und er hat gelernt, was das tägliche Allein-Leben kostet.«
»Ja, ihr habt
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