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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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vom
September, in dem unsere Anzeige erscheinen sollte, war noch nicht am Kiosk
erhältlich, da stand schon ein Mann im Foyer, eindeutig ein Künstler, von Kappe
bis Turnschuh giftrot angezogen, und er hatte eine blaue Haarsträhne und
sagenhaft dreckige Fingernägel. Er habe das Metropolen-Magazin abonniert und
bekomme es deshalb Tage früher als die breite Masse, erklärte er und legte eine
gigantisch große Mappe auf den Boden, darin ein Stapel Blätter mit langen und
kurzen Strichen in Rot, Blau, Gelb. Er sah mich nicht an, während er Blatt für
Blatt umblätterte, sondern betrachtete staunend fasziniert die Striche. Mir
gefielen sie nicht so gut.
    Als er alle gezeigt hatte,
sagte er: »Das sind jetzt nur Arbeiten auf Papier. Das können Sie haben in
Acryl auf Leinwand, da wäre mein Standardformat 4 Meter auf 2,45 Meter oder
Querformat bis 8,60 Meter. Hier paßt das rein.«
    Ich wußte nicht recht, was ich
sagen sollte, also sagte ich vorsichtig: »Die Bilder sagen mir nicht so viel.«
    »Die sagen überhaupt nichts!
Das ist Malerei — reine, pure Malerei!« rief der giftrote Künstler. »Warum
sollen Bilder was sagen?! Das sind doch keine Hörspiele mit Aufhänger!«
    »Ich dachte nur...«
    »Absolut nichts denken Leute,
die den Blödsinn nachquatschen, ein Bild müßte was sagen!« Er schichtete die Blätter
in die Mappe zurück und ging. An der Tür drehte er sich noch mal um: »Hängen
Sie sich ‘nen Papagei an die Wand, der sagt Ihnen was.«
    Das war kein guter Anfang, das
kann nur besser werden, dachte ich.
    Am Nachmittag, ich drapierte
gerade Vorhänge im zweiten Stock, kam Rufus: »Unten wartet die nächste
Künstlerin.«
    Da stand ein mickriges Mädchen
mit einer mickrigen Mappe, sie sagte: »Ich heiße Michaela und habe einen
kleinen, vierzehn Monate alten Sohn, meine Hobbys sind Malen und Lesen, und ich
möchte mich um die Ausstellung bewerben.«
    Zitternd gab sie mir Blätter
mit perforiertem Rand, aus einem Schülerzeichenblock rausgerissen, auf den
Blättern zerlaufende Klekse in Braun, Grau, Olivgrün. Während ich die welligen
Blätter durchsah, hatte sie wie ein Baby den Zeigefinger der linken Hand in den
Mund gesteckt und sah mich ängstlich an. Automatisch duzte ich sie: »Vielleicht
kannst du mir sagen, was deine Bilder bedeuten, was du dir dabei gedacht hast?«
    Sie nahm den Finger aus dem
Mund: »Ich bin ein sehr spontaner Mensch und möchte in meinen Bildern meine
Gefühle zum Ausdruck bringen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich,
»ob diese Gefühle für eine Hotelhalle das richtige sind.«
    »Das weiß ich auch nicht«,
sagte sie. »Ich dachte nur, daß ich vielleicht Kunst studieren will, wenn mein
Sohn aus dem Gröbsten raus ist, und weil ich gelesen habe, daß man eine
Aufnahmeprüfung machen muß, wenn man auf eine Kunstakademie will, dachte ich,
die nehmen mich vielleicht eher, wenn ich schon eine Ausstellung gemacht habe.«
    »Ich denke, wenn dein Kind erst
vierzehn Monate alt ist, hast du noch viel Zeit.«
    »Das denke ich auch«, sagte sie
und war sofort bereit zu gehen. »Aber es hat unheimlich viel Spaß gemacht, mich
zu bewerben.«
    »Mir hat es auch unheimlich
viel Spaß gemacht, deine Bilder anzusehen«, sagte ich, weil sie mir leid tat.
     
    Wie wird das weitergehen? Drei
Tage lang erschienen keine Künstlerinnen. Dafür kam die Lieferung von Hagen und
von Müller, mit der Sitzgruppe fürs Foyer und dem Löwenläufer. Als ich vor
Rufus einen Abschnitt des Löwenläufers ausrollte, brach er in fast so viele
Jubelworte aus wie Frau Schnappensiep. »Wenn Bärbel den Teppich sieht,
überschlägt sie sich«, rief er. Auch die Handwerker standen anerkennend nickend
um den Läufer, und ein Maler, ein großer Angeber, deutete vom Läufer zu den
Wänden, zur Decke und sprach: »Das käme sogar für meine Wohnung in Frage.«
    Dann stellten die Handwerker
erstaunt fest, daß der Läufer in exakt passenden Abschnitten geliefert worden
war, und wollten ihn sofort verlegen. Nein, alles wurde wieder zusammengerollt—
solange hier Handwerker mit dreckigen Schuhen rumliefen, blieb die Plastikfolie
am Boden.
    Und im Foyer nahm ich die Folie
nur für einen Abend vom Boden, um die Terrazzostoff-Sitzgruppe auf dem
Terrazzoboden zu bewundern — sie sah besser aus, als ich mir erträumt hatte.
Weil die Sitzgruppe zu groß war, um sie sonstwo vorübergehend unterzubringen,
blieb sie im Foyer mit doppelter Plastikfolie umwickelt. Herr Hedderich fand
sie trotzdem so bequem, daß er beschloß,

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