Der Mann, der's wert ist
Straßenfront, zeigte, das mit den roten Rosen auf dem schwarzen
Teppich und dazu rosarote Wände, eines meiner Lieblingszimmer, weil die
Farbigkeit eine künstlerische Qualität hat und man sich in diesem Zimmer fühlt
wie in einer Rosenblüte, da sagte er nicht, das fände er zu gewagt oder
kitschig, sondern: »Alle Achtung, das ist leidenschaftlich. Ist das Ihre
Hochzeitssuite?«
»Ich glaube kaum, daß jemand
seine Hochzeitsreise in diese Stadt macht.«
»Da haben Sie recht. Aber es
ist ein Zimmer für eine Nacht der Leidenschaft.«
Ich sagte nichts dazu.
Gottseidank machte er keine weiteren Kommentare zu den Spiegelschränken und
ihrer möglichen Funktion in Nächten der Leidenschaft, wie ich kurz befürchtet
hatte.
Er wollte nicht mit dem Aufzug
runterfahren, sondern die Treppe runtergehen, um die Schönheit der Flure weiter
auf sich wirken zu lassen. Unten ging ich zur plastikverhüllten Rezeption,
Rufus hatte hier ein Buch deponiert, in das wir Interessenten eintrugen, Rufus
würde sie benachrichtigen, sobald wieder Zimmer vermietet werden. »Und was kann
ich jetzt für Sie tun, Herr Sommerhalter?«
Er lächelte: »Michael Schweizer
vom Metropolen-Magazin hat mir erzählt, daß Sie Bilder ausstellen wollen, und
deshalb wollte ich mir Ihr Hotel ansehen. Möchten Sie meine Bilder sehen?«
»Ja«, sagte ich verblüfft.
»Dann warten Sie einen Moment.«
Ich setzte mich in die
Sitzgruppe, und mein Herz klopfte komisch. Fast hätte ich gebetet: Lieber Gott,
mach, daß die Bilder gut sind.
Er war hinausgegangen. Ich sah
ihm hinterher. Direkt vor der Tür parkte ein schäbiger Fiat. Er ging zur
anderen Straßenseite, nahm aus einem Auto mit offenem Verdeck große Bilder. Das
Auto war ein antiker, schwarzer Morgan. Ein Luxus-Cabrio, mit einer geraden
Frontscheibe, mit Speichenrädern, ein Super-Traum-Auto, wie man es nur im Kino
sieht. Umgotteswillen. Konnte ein Mann, der so ein absolutes Auto fuhr,
schlechte Bilder malen? Ich riß ihm die Tür auf.
Er brachte zwei Bilder, in
Wellpappe gewickelt. Sie schienen schwer zu sein. Was auch immer es für Bilder
waren — jedenfalls hatten sie wenigstens die ideale Größe, etwa 1,5 Meter hoch.
Er ging noch mal raus, brachte wieder zwei Bilder, dann noch mal drei.
Ich hatte solche Angst vor dem
Moment, in dem die Hoffnung enden würde, daß ich sagte: »Darf ich Ihnen zuerst
einen Kaffee anbieten?«
Er lächelte: »Wenn Sie zuerst
einen Kaffee brauchen, ehe Sie meine Bilder ansehen können, bitte.«
»So hab ich das nicht gemeint«,
sagte ich und blieb sitzen. Und da hatte er schon ein Bild aus der Wellpappe
gewickelt, und mein Herz blieb kurz stehen vor Erstaunen, vor Freude, und dann
klopfte es dumpf in meinem Hals.
Das Bild war modern und antik
zugleich. Es war eine Frau in einem Abendkleid, nein, mehr als das — es war
eine Dame in einer Robe. Über der schwarzen Seide des Rocks dunkelgraue
Spitzenvolants, und ich fragte mich: Wie kann man Seide so malen, daß sie
aussieht wie echte Seide, und Spitzen mit Bogenkanten darüber, die auch
aussehen wie echt?! Und die Dame stand in einem kostbaren Raum, der gar nicht
richtig zu erkennen war, aber genau zu erahnen, ein braun und golden
strukturiertes Dunkel, aber der Kopf der Dame war in freier Landschaft, von
azurblauem Wolkenhimmel umgeben, und aus den Wolken führte ein schwarzer Keil
direkt über ihr Gesicht. Es war kein richtiger Keil, eher eine keilförmige
Wolke, die das Gesicht bis zum Kinn verdeckte, und der Keil wirkte nicht
bedrohlich, er verbarg nur ihr Gesicht. Und man fragte sich nicht, wie die Dame
eigentlich aussah, alles, was man sonst sah, war prächtig genug. Sie trug eine
dreireihige Perlenkette, die Perlen waren so transparent gemalt, daß sie fast feucht
wirkten. Das Kleid war trägerlos, tief dekolletiert, der Busen der Dame
entzückend und die runden Schultern vollendet. Am Korsagenoberteil des Kleides
war die schwarze Seide mit matten schwarzen Blattmotiven bestickt, gemalt, als
wären sie auf die Leinwand gestickt. In ihrer Hand, angewinkelt in Taillenhöhe,
hielt die Dame einen Spiegel, sie hielt ihn dem Betrachter zugewandt, und man
wußte sofort, daß es ein Spiegel ist, obwohl sich darin nichts spiegelte. Und
wie das alles gemalt war — die Wolken, die Stoffe, die Spitzen, die Haut.
Vollkommen!
»Ich hätte nicht geglaubt, daß
man heute noch so malen kann«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte.
»Doch, man kann heute noch so
malen«, sagte der Maler, »wenn man will, kann
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