Der Mann, der's wert ist
man es.«
»So hab ich es nicht gemeint,
ich meinte, ich hätte mir nicht vorstellen können, daß jemand überhaupt in der
Lage ist, so malen zu können.«
»Kennen Sie die reizenden
Gemälde, die François Boucher von Madame Pompadour malte? Boucher ist mein
Lieblingsmaler, keiner hat wie er die Frauen gemalt. Ich habe früher einige
Bouchers kopiert, und viel von ihm gelernt. Ich habe auch Watteau kopiert,
unübertroffen, wie er Seide und Spitze malt. Und Fragonard! Ich bin ein
Anhänger der Französischen Schule des achtzehnten Jahrhunderts, Sie auch?«
Ich hatte keine Ahnung, ob ich
Anhänger der Französischen Schule des achtzehnten Jahrhundert bin, aber wenn
das, was ich sah, Französische Schule des achtzehnten Jahrhunderts ist, dann
bin ich ein glühender Anhänger der Französischen Schule des achtzehnten
Jahrhunderts, und ich sagte überzeugt: »Ja.«
Er wickelte das nächste Bild
aus. Wieder eine Dame in großer Robe. Gelbe Seide, über und über bestickt mit
Schmetterlingen in Orange und Braun, Rosa und Rot, Türkis und Grün. Das Kleid
hat gerüschte Tüllärmel, die die schönen Arme durchscheinen lassen. Und wieder
steht die Dame unter Wolken, und ein schwarzer Keil verdeckt ihr Gesicht. Ihr
zu Füßen eine getigerte Katze, kein Schmusetier, sondern ein wütendes Vieh. Die
Katze, mit gebleckten Zähnen, hebt die Kralle gegen einen Schmetterling auf der
gelben Seide, und man hört es schon ratschen. Auf dem dritten Bild ein Mann,
auch sein Gesicht hinter einem schwarzen Keil, und er steht, auf einen
Golfschläger gestützt, in einem Rosengarten. Und die Rosenblüten sind Blatt für
Blatt gemalt, aber trotzdem nicht pedantisch, sondern ganz selbstverständlich
wie gewachsene Rosen. Und wie die andern Bilder war auch dieses gerahmt, mit
einer glatten, fünf Zentimeter breiten Goldleiste. Es war vollkommener nicht
vorstellbar!
Und auf dem vierten Bild wieder
eine Frau, auch ihr Gesicht von einem Keil verdeckt, aber sie hat eine Hand vor
dem Keil oder dem Gesicht, und ihre Hand ist vollkommen, und sie trägt einen
großen Perlenring und ein Brillantarmband. Und ihr Kleid ist das raffinierteste
von allen: champagnerfarbene plissierte Seide, die sich um ihre perfekte Figur
schmiegt, und am Dekollete und am Saum sind die Plissees aufgebogen wie
schäumende Wellen. Hinter ihr, aus den Wolken fallend, ein Vorhang, sie hält
ihn mit der linken Hand geöffnet, und der Vorhang ist aus rotem Samt, mit
goldenen Lorbeerblättern bestickt. Es könnte eine Schauspielerin sein, die vor
den Theatervorhang tritt.
Auf dem nächsten Bild eine Göttin.
Nackt posiert sie auf Wolken. Und die Wolken sind von der Sonne beschienen, ein
Wolkenschatten verdeckt das Gesicht der Göttin, ihr Körper ist ziemlich braun,
nur an ihrer Hüfte ein dünner hellerer Streifen, und an ihrer haarlosen Scham
ist die Haut auch weiß, als würde sie sich sonst im Bikinislip sonnen. Es ist
bezaubernd, witzig und wunderbar.
Und noch eine Göttin, die aus
der Dunkelheit heraustritt. Sie trägt nur einen Tüllschleier, und es ist nicht
zu fassen, wie dieser Harald Sommerhalter Tüll auf Haut und Tüll vor
Abendhimmel malen kann. Und Blumen — überall fallen Frühlingsblumen aus dem
Tüll, wahrscheinlich ist es die Göttin des Frühlings, aber es ist egal, wer es
ist, und egal, daß auch ihr Gesicht verborgen ist, auch dieses Bild ist ein gemalter
Traum.
Und Harald Sommerhalter
wickelte das letzte Bild aus, es ist ein Mann, nackt, ein Gott, er lehnt an
einer Säule inmitten von Wolken, auch er hat kein Gesicht, und er hält sich
eine zusammengerollte Zeitung vor seinen Pimmel, und ich sprang auf, um mir das
ganz aus der Nähe anzusehen, es sah aus, als könnte man lesen, was auf dieser
Zeitung steht, aber aus der Nähe sieht man, daß es abstrakte Häkchen sind, aber
wenn man nur zwei Meter zurücktritt, denkt man, es wäre die Seite mit den
Aktienkursen.
Jetzt nur nichts Falsches
sagen, dachte ich. »Warum wollen Sie diese tollen Bilder hier ausstellen?«
»Die Atmosphäre, die Sie hier
geschaffen haben, gefällt mir.«
»Sie müssen berühmt sein, wenn
Sie so malen können, es tut mir leid, daß ich Sie bisher nicht kannte, ich
wohne nicht so lange hier...« Und da fiel mir ein, daß ich genau heute vor
einem Jahr hergekommen bin, und fragte mich, was das bedeutete?
»Können Sie sich vorstellen,
daß jemand nicht berühmt sein will, lieber so lebt, wie er es sich selbst
vorstellt?« fragte Harald Sommerhalter und zündete sich die
Weitere Kostenlose Bücher