Der Mann, der's wert ist
Schritte zurück, Hand in die Hüfte, Auge
zugekniffen: »Auf den Kopf gestellt bringen die das Zehnfache, und das sieht
auch nicht schlecht aus.«
Zugegeben, es sah nicht
schlechter aus. Die Mundlinie, die vorher freudig nach oben zeigte, zeigte
jetzt nach unten, wirkte aber trotzdem nicht traurig, sondern wie ein freudiges
Baby, das Kopfstand macht. Interessant.
»Ich werd achttausend bis
fünfzehntausend pro Bild verlangen, da muß man richtig hinlangen, sonst wissen
die Leute gar nicht, daß es Kunst ist. Die Rahmen kosten extra.«
Das Gemälde »Trauer« rutschte,
knallte flach auf den Boden, als ich es aufrichtete, hatte ich prompt einen Spreisel
vom groben Fichtenholz im Daumen. »Die Rahmen sind nicht kindgemäß«, sagte ich.
Das interessierte ihn überhaupt
nicht. »Wieviel zahlen Sie mir pro Ausstellung?« wollte er wissen.
»Wir zahlen gar nichts. Wir
geben Künstlern die Gelegenheit auszustellen, und wenn jemand ein Bild kaufen
will, verkaufen wir es zum vom Künstler gewünschten Preis, provisionsfrei.«
»Wie denn, für die Ausstellung
zahlen Sie nichts?«
»Nein.«
»Das sind aber alles Originale,
die ich Ihnen zur Verfügung stelle. Okay, wenn jemand ein Bild gekauft hat,
kann ich es kopieren, das geht bei mir ruckzuck, aber für eine Ausstellung muß
ich auch Geld bekommen. Ich kann doch nicht umsonst arbeiten, da mach ich mich
ja strafbar.«
»Wir können Sie nicht dafür
bezahlen, daß Sie Ihre Bilder hier ausstellen wollen.«
»Und was bieten Sie mir an
Werbung? Da muß Werbung dafür gemacht werden. Ich dachte an Plakatwände mit
großem Foto: ich und meine Tochter — ein Super-Thema.«
»Wir können kein Geld für
Werbung ausgeben.«
»Dann taugt Ihr Laden nichts.
Da müssen Sie sich einen andern suchen. So nicht. Nicht mit mir!«
Er packte seine Werke in den
praktischen Tragegriff und ging. Rufus, der die ganze Zeit still in der
Sitzgruppe gesessen hatte, sagte: »Ich hab mir das mit den Künstlern einfacher
vorgestellt.«
»Und diese Künstler haben es
sich mit der Kunst einfacher vorgestellt.« Das half uns aber auch nicht weiter.
Nur unser Optimismus.
Abends um sieben, Rufus und ich
aßen in der Küche, klingelte es heftig, es war ein Mann im schwarzen Hemd, also
vermuteten wir sofort, daß es ein Künstler ist, und ich ging zur Tür: »Guten
Abend, kommen Sie wegen...«
»Ist Ihr Chef da?«
»Um was geht’s denn?«
»Um das Inserat im
Metropolen-Magazin.«
»Wenn Sie Bilder für die
Ausstellung haben, die können Sie mir zeigen.«
»Ist der Chef nicht da?«
»Ich bin dafür zuständig.« Sein
Gesicht ließ keinen Zweifel, daß es ihm nicht paßte, mit mir zu reden. Aber ich
hatte im Umgang mit den Handwerkern längst gelernt, völlig zu ignorieren, ob
einer Lust hat, mit einer Frau zu verhandeln, oder ob das unter seinem Niveau
ist, und sagte: »Zeigen Sie mir, was Sie mitgebracht haben.«
»Haben Sie wenigstens Hammer
und Nägel da?«
»Wozu?«
»Damit ich die Sachen aufhängen
kann, ich muß ja sehen, wie das wirkt.«
»Ich möchte erst Ihre Bilder
sehen, ehe wir Nägel in die Wände schlagen.«
War es Verachtung oder Mitleid
in seinem Blick? Mir war’s egal. Er ging hinaus und kam mit vier Leinwänden
zurück, alle groß wie Türen. Er wollte sie nicht vor die marmorierten Wände stellen,
sondern entschied sich für den frischlackierten Aufzug als Hintergrund. Ich
hatte nichts dagegen, die Farbe war schon trocken.
Er stellte alle Bilder mit der
Rückseite nach vorn, dann drehte er das erste um. Ich sah ein mit Stacheldraht
abgegrenztes Gehege: schrecklich hohe, nach innen geknickte Stacheldrahtzäune
wie in einem Konzentrationslager, darin eingegattert eine Herde graugesichtiger
Pandabären, die sehr traurig herumsitzen und in ihren kleinen Vorderpfoten
welke Bambussprossen halten. Im Stacheldraht hat sich eine weiße Taube
verfangen, mit welken Zweiglein im Schnabel. Das Blut der Taube tropft von
Stacheldrahtreihe zu Stacheldrahtreihe, perlt sehr plastisch gemalt von den
Stacheln. Unten eine zackige Signatur, größer als die Taube, der Maler heißt
Bernhard Schrank oder so ähnlich.
Auf dem zweiten Bild
Fabrikschornsteine, aus denen schwefelgelber Rauch quillt. Im Vordergrund ein
mickriges Tischchen, darauf eine Vase mit graugelben Sonnenblumen, unter dem
Tischchen liegt eine, vermutlich tote, Friedenstaube.
Auf dem dritten Bild ein
Atompilz, explodierend über einer Palmeninsel, am Strand der Insel liegen zwei
Frauen mit gespreizten Beinen und
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