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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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nächste Zigarette
an.
    »Ja«, sagte ich, obwohl ich es
mir eigentlich nicht genau vorstellen konnte. »Ich meine nur, daß wir Ihnen
leider nichts für die Ausstellung bezahlen können.«
    »Natürlich nicht«, sagte er,
»kein Künstler wird dafür bezahlt, daß er ausstellt, die meisten müssen sogar
dem Galeristen Zuschüsse für Ausstellungen geben. Aber das ist nicht mein
Problem. Wissen Sie, ich habe mich mit meinem hiesigen Galeristen verkracht.
Ich habe gerade die Bilder bei ihm abgeholt. Ich kann den Galeristen sogar
verstehen, er möchte nur Bilder ausstellen, die er auch verkaufen darf. Aber
diese Bilder hier möchte ich nicht verkaufen. Und außerdem«, er lächelte mich
an, »außerdem hab ich mich auch mit meiner Freundin verkracht.«
    »Ja?« sagte ich und versuchte,
nicht zurückzulächeln.
    »Ich könnte die Bilder hier
ausstellen, damit die, die über meine Bilder reden oder schreiben wollen, hier
ihre Kunstbetrachtungen abhalten können. Meine Bilder sind kaum in der
Öffentlichkeit zu sehen, die Leute, für die ich male, zeigen ihren Reichtum
niemals öffentlich. Und ich will keine Besucher in meinem Atelier. Ich brauche
absolute Ruhe. Bisher haben mir meine Ex-Freundin und der Galerist die Leute
vom Hals gehalten. Jetzt wäre es für mich gut, wenn die Bilder hier hängen,
dann könnte ich allen sagen, geht in dieses Hotel und laßt mich in Ruhe.«
    »Ja«, sagte ich, »das wäre eine
gute Lösung.« Und dann sagte ich schnell: »Darf ich Ihnen jetzt einen Kaffee
bringen? Oder möchten Sie Champagner?« — Was trinken Künstler am Vormittag?
Haben wir überhaupt Champagner oder nur Sekt?
    »Ich hätte gerne einen
Kamillentee, ich hab gestern zuviel getrunken.«
    Selbstverständlich, sofort. Ich
eilte in die Küche, Frau Hedderich hat gottseidank Kamillenteebeutel. »Ist
Ihnen nicht gut?« fragte sie.
    »Mir geht’s prima. Wo ist
Rufus?«
    »Wenn er nicht unten ist, ist
er oben.«
    Ja, natürlich ist er oben, bei
seinem Computer. Ich telefonierte ihn runter: »Rufus, der Maler ist da! Der
Maler, dessen Bilder wir ausstellen werden. Metropolen-Michael hat ihn
geschickt. Harald Sommerhalter. Du kennst ihn nicht? Komm sofort, die Bilder
mußt du sehen!«
    Rufus kam sofort. Als ich das
Kännchen Kamillentee hinausbrachte, begrüßte er schon den Maler, den uns der
Himmel geschickt hatte.
    »Sind Sie der Besitzer des
Hotels, Herr Berger?« fragte Harald Sommerhalter.
    »Ich bin der sogenannte
Geschäftsführer.«
    »Was meinen Sie mit
>sogenannt    Rufus lachte: »Ich sage das
gewohnheitsmäßig. Vielleicht, weil ich dieses Hotel früher als sogenanntes
Hotel bezeichnet habe. Ich hab mich noch nicht daran gewöhnt, daß es jetzt ein
richtiges Hotel wird.« Dann drehte sich Rufus zu den Bildern und rief:
»Fabelhaft!« Und: »Ganz großartig!« Und: »Was bedeutet dieser dunkle Fleck über
allen Gesichtern?«
    Ich hatte nicht gewagt, das zu
fragen. Aus Angst, der Künstler würde sich unverstanden fühlen.
    Aber Harald Sommerhalter sagte:
»Ich male die Träume von der Vollkommenheit — hat mal ein Kritiker über mich
geschrieben. Das fand ich okay. Obwohl ich Vollkommenheit hasse. Vollkommenheit
ist langweilig. Vollkommenheit tötet die Phantasie. Und wozu soll ich ein
Gesicht malen? Das kann schon morgen ganz anders aussehen. Male ich die Dame
heute mit einer römischen Nase, geht sie morgen zum Schönheitschirurgen und
kommt mit einer Stupsnase zurück. Oder plötzlich hat sie ein spitzes Kinn, wo
vorher gar keines war. Ich male keine Ansichten, nur Ausstrahlung. Alles
Vergängliche ist aus meinen Bildern eliminiert. Deshalb male ich keine
Gesichter, die Leute können sich meinetwegen ein Foto drüberhängen mit ihrer
jeweils gerade aktuellen Nase.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Das einzige, was unverändert
überdauert, sind die Haute-Couture-Modelle. Die haben wahre Identität. Die kann
man malen. Was auch sonst? Sehen Sie, der Kleidercode der heutigen
Individualität ist der Konformismus. Die typische Individualistin trägt Jeans,
Chanel-T-Shirt und Hermès-Handtasche. Oder Jeans, Benetton-T-Shirt und
Plastiktüte.«
    Ich mußte lachen.
    »Und der typische Individualist
trägt wie ich Jeans und Lacoste-Hemd. Eine malerische Katastrophe! Ich kann
keine Baumwollstoffe malen. Monet konnte es, Renoir konnte es, aber ich will es
nicht. Wissen Sie, was meine Überzeugung ist?«
    Ich wagte nicht zu sagen, daß ich
es nicht ahnte, schließlich bin ich Anhängerin der Französischen Schule des
achtzehnten

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