Der Mann im braunen Anzug
drehte, meine Fesseln lockerten sich nicht im Geringsten, und der Knebel erstickte jeden Schrei. Unten hörte ich eine Tür zufallen. Anscheinend verließ der Holländer das Haus. Wieder und wieder zerrte ich an meinen Fesseln. Schließlich muss ich in Ohnmacht gefallen sein.
Als ich wieder erwachte, taten mir alle meine Glieder weh. Es war dunkel geworden, nur der Mond sandte seinen blassen Schein durch die hohe Dachluke. Der Knebel erstickte mich fast, der Schmerz und die Verkrampfung waren kaum zu ertragen.
Da fiel mein Blick auf etwas Glitzerndes: eine Glasscherbe! Sie brachte mich auf eine Idee.
Meine Arme und Beine waren zwar hilflos, aber ich konnte mich doch rollend fortbewegen. Unendlich langsam gelangte ich an mein Ziel. Mit den Händen ergriff ich die Glasscherbe und stellte sie mit viel Mühe so gegen die Wand, dass ich meine Fesseln daran reiben konnte, bis sich die Knoten an meinen Handgelenken lösten; die Fesseln fielen – meine Hände waren frei!
Jetzt war es leicht, auch die Füße zu befreien. Einige Zeit dauerte es, bis ich die Kraft hatte, mich aufzurichten. Ich wartete noch eine Weile, dann schlich ich zur Tür. Zu meinem Glück war sie nicht verriegelt, sondern nur zugeklinkt. Vorsichtig öffnete ich sie und spähte hinaus.
Alles war still. Der Mond wies mir den Weg. Langsam und geräuschlos tastete ich mich die Treppe hinunter. Immer noch ließ sich kein Laut vernehmen. Doch als ich auf dem unteren Vorplatz anlangte, hörte ich deutlich ein Murmeln. Zu Tode erschrocken, blieb ich stehen. Eine Uhr an der Wand zeigte mir, dass Mitternacht vorbei war.
Durfte ich es wagen, mich den Stimmen zu nähern? Die Neugier verzehrte mich. Doch als ich mich umwandte, sah ich den Kaffernboy in der Eingangstür sitzen. Er hatte mich noch nicht bemerkt, und kurz darauf entdeckte ich, dass er tief und friedlich schlief.
Die Stimmen drangen aus dem Raum, in den man mich zuerst geführt hatte. Die eine war die des Holländers, die andere erkannte ich im Moment nicht.
Sollte ich bleiben oder gehen? Schließlich entschied ich, dass es meine Pflicht sei, soviel wie möglich von dem zu erfahren, was hier gesprochen wurde. Hoffentlich wachte der junge Kaffer nicht auf. Geräuschlos durchquerte ich die Halle. Die Stimmen wurden lauter, waren aber immer noch unverständlich.
Ich legte mein Auge ans Schlüsselloch. Richtig, der eine Sprecher war mein Holländer. Der andere Mann aber saß außerhalb meines Gesichtskreises.
Plötzlich stand er auf, um sich ein Glas vom Tisch zu holen. Sein schwarzbekleideter, breiter Rücken wurde sichtbar. Noch ehe er sich umdrehte, erkannte ich ihn.
Mr Chichester!
Jetzt wurden auch die Worte deutlicher.
«Es ist auf jeden Fall gefährlich. Wenn nun wirklich ihre Freunde nach ihr suchen?»
Das war die Stimme des Holländers. Chichester antwortete; von seinem salbungsvollen Ton war nichts mehr zu hören. Kein Wunder, dass ich ihn zuerst nicht erkannt hatte.
«Das war bloß ein Schreckschuss; kein Mensch ahnt, wo sie steckt.»
«Sie sprach aber sehr entschieden.»
«Das glaube ich; ein entschlossenes kleines Ding. Ich bin der Sache genau nachgegangen, wir haben nicht das Geringste zu befürchten. Und die Befehle des ‹Colonels› müssen befolgt werden. Sie werden sich doch nicht dagegen auflehnen wollen?»
Der Holländer stieß einen erschrockenen Schrei aus, dann sagte er: «Es wäre doch viel einfacher, ihr den Schädel einzuschlagen. Das Boot liegt bereit, man könnte sie hinausfahren und in die See werfen.»
«Ja», meinte Chichester nachdenklich, «das würde ich auch am liebsten tun. Eines ist sicher, sie weiß zu viel. Aber der ‹Colonel› geht ja immer seine eigenen Wege. Er will irgendwelche – Auskünfte von ihr haben.»
Die Pause vor dem Wort «Auskünfte», war deutlich. Auch dem Holländer fiel sie auf.
«Auskünfte?», fragte er.
«Etwas in der Richtung.»
Diamanten, sagte ich mir.
«Und jetzt», fuhr Chichester fort, «geben Sie mir die Listen.»
Das Gespräch wurde nun völlig unverständlich für mich. Es schien sich um große Mengen Gemüse zu drehen. Daten wurden genannt, Preise und verschiedene Plätze, die mir unbekannt waren. Fast eine halbe Stunde dauerte diese Unterhaltung.
«Gut», sagte Chichester, und ich hörte das Rücken eines Stuhls. «Ich nehme sie mit, um sie dem ‹Colonel› zu zeigen.»
«Wann fahren Sie ab?»
«Morgen um zehn Uhr; das ist früh genug.»
«Wollen Sie die Kleine noch sehen?»
«Nein. Der Befehl ist klar,
Weitere Kostenlose Bücher