Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
er macht, nicht passt, aber ich will auch essen, also werde ich wie eine halbe Million anderer im grauen Flanellanzug immer so tun, als wäre ich einverstanden, bis ich groß genug geworden bin, um ehrlich zu sein, ohne dass mir dann etwas passiert. Das ist nicht verlogen, sondern bloß klug.
Aber man fühlt sich nicht sonderlich wohl dabei, dachte Tom. Man fühlt sich elend. Zum dritten Mal zuckte er die Achseln. Wie merkwürdig sich doch alles fügt, dachte er. Die hübsche Frau lächelt, als sie mir den harmlosen Umschlag mit der Rede gibt. Ich gehe mit meinem Chef in irgendeinem netten Restaurant zu Mittag essen, vielleicht spielt im Hintergrund Musik, und rundum lachen Leute, und die Kellner werden sich verbeugen, und mein Chef wird höflich sein und ich taktvoll, und in dieser feinfühligen Umgebung werde ich nicht sagen, dass eine dumme Rede eine dumme Rede ist. Wie glatt man doch wird, nicht richtig betrügerisch, auch nicht ganz verlogen, man ist nur einer, der für Geld alles sagt.
Tom blieb lange Zeit am Fenster stehen und schaute auf die Autos hinab, die unter ihm auf den Straßen dahinkrochen. Es war eigenartig, so hoch über der Stadt regungslos zu schweben. Fast war es so, als wäre sein Fallschirm mitten in der Luft hängen geblieben, auf halbem Weg zwischen Flugzeug und Erde.
Bevor Tom an jenem Abend nach Hause fuhr, steckte er die Rede noch in den Umschlag und nahm sie auf eine Eingebung hin mit. Am Bahnhof in South Bay holten ihn Betsy und die Kinder ab. »Was ist das?«, fragte Janey mit Blick auf den großen Umschlag. »Ein Geschenk für uns?«
»Nein«, sagte Tom und gab den Umschlag Betsy. »Das ist Hopkins’ Rede. Ich wollte dich bitten, sie zu lesen und mir zu sagen, was du davon hältst. Hopkins möchte, dass ich morgen mit ihm zu Mittag essen gehe und ihm sage, was ich darüber denke.«
»Ich sehe sie mir nach dem Abendessen an«, sagte Betsy und legte den Umschlag gleichgültig auf den Vordersitz.
»Mutter hat eine Überraschung für dich«, sagte Barbara. »Sie hat es heute für dich geholt.«
»Pscht!«, sagte Betsy. »Wie kann es denn eine Überraschung sein, wenn du darüber sprichst?«
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte Tom, und da merkte er, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war, sodass er Betsy gar keinen Kuss gegeben hatte. Er beugte sich zu ihr und tätschelte sie auf die Schulter. »Es ist gut, nach Hause zu kommen«, sagte er.
Sie warf ihm ein schnelles, lebhaftes Lächeln zu. »Eigentlich ist es gar keine so große Überraschung«, sagte sie. »Erwarte nicht zu viel.«
Die Überraschung erwies sich als großer Ledersessel samt dazu passender Fußablage, auf die Tom die Beine legen konnte. Daneben hatte Betsy ein Tischchen gestellt, darauf eine Schachtel Zigaretten, Streichhölzer und Aschenbecher. Auch ein Eiskühler stand da, zwei Gläser sowie Zutaten für Cocktails. »Du hast so müde ausgesehen, als du gestern Abend aus Atlantic City gekommen bist«, sagte sie. »Da dachte ich, du brauchst ein Plätzchen, wo du dich fallen lassen und ausruhen kannst. Ich versuche, alles so zu organisieren, dass wir vor dem Essen eine halbe Stunde Ruhe haben. Kinder, geht nach oben, so wie ihr’s versprochen habt!«
Janey grinste und führte die anderen ungewöhnlich folgsam die Treppe hinauf. »Ich habe ihnen Ginger-Ale raufgestellt«, sagte Betsy. »Sie geben Ruhe auf ihrem Zimmer, und wir haben unten unsere. So wollen wir es ab jetzt jeden Abend eine halbe Stunde lang versuchen.«
»Wunderbar«, sagte Tom. »Ein großartiger Sessel.« Dankbar setzte er sich hinein, legte die Beine auf die Fußablage und zündete sich eine Zigarette an. Betsy mixte die Cocktails und reichte ihm einen. Er trank einen Schluck und sagte: »Hast du die Rede aus dem Wagen reingebracht?«
»Ja. Sie liegt auf dem Tisch im Flur. Warum?«
»Ich bin neugierig, was du davon hältst.«
»Klar«, sagte sie. »Ich hole sie.«
Sie setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers und zog die Rede aus dem Umschlag. Er betrachtete ihr Gesicht, während sie sie las. Ihre Miene war heiter. Erst las sie langsam, aber schon bald blätterte sie rasch weiter. Tom schenkte sich sein Glas nach. »Wie findest du sie bis jetzt?«
»Hast du das geschrieben?«
»Mit geschrieben. Findest du sie gut?«
»Tja«, sagte sie zögernd, »ich weiß ja nicht so viel über das Thema. Meine Meinung würde nicht so viel bedeuten.«
»Komm schon. Was hältst du davon?«
»Sie ist irgendwie langweilig«,
Weitere Kostenlose Bücher