Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
stahl. Mit ihrem Picknickkorb und von der Feuchtigkeit ein wenig zitternd waren sie durch ein riesiges, schartiges Loch in einer verkohlten Wand gestiegen und in ein riesiges Wohnzimmer getreten. Die Scheiben der hohen Fenster in der rechten Wand des Zimmers waren zerbrochen gewesen, und zerfetzte Damastvorhänge wurden nach innen geweht, vom Wind wie Schwingen gewölbt. In der Mitte des gebohnerten Eichenfußbodens war eine Lache gewesen, und überall hatten Glasstückchen und zahllose Papiere gelegen, als wäre ein Büro explodiert. In einer Ecke hatte das Wrack eines Flügels gestanden, dessen Klaviatur mit den Elfenbeintasten abgetrennt dalag wie die Zahnreihe eines prähistorischen Tiers, und der große messingfarbene Rahmen, in dem die meisten Saiten noch straff gespannt waren, lag auf der Seite wie eine Harfe. Diesen Raum hatten sie durchschritten, und nachdem sie noch durch zwei vollkommen leere Zimmer gekommen waren, hatten sie eines entdeckt, das offenbar einmal eine kleine Bibliothek gewesen war und an dessen Ende ein kleiner Marmorkamin stand. Die Wände waren mit Regalen gesäumt, jetzt allesamt leer bis auf viele verstreute Blätter und abgerissene Ledereinbände. Das Zimmer hatte nur zwei Fenster gehabt, und wunderbarerweise waren nur einige wenige Scheiben kaputt. Durch eines der Fenster hatten sie einen kleinen runden Teich gesehen, in dessen Mitte eine weiße, schmalhüftige und vollbusige, nun aber kopflose Marmornymphe stand, die in einer erhobenen Hand ein Füllhorn hielt, aus dem sich einmal ein Brunnen ergossen haben musste.
»Da«, hatte er gesagt und den Picknickkorb abgestellt. »Mal sehen, ob es der Kamin tut.« Er hatte einige Buchseiten vom Boden aufgeklaubt, ein Streichholz angerissen, das Papier angezündet und es in den Kamin geworfen. Der Rauch war geradewegs aufgestiegen. »Wir können ein Feuer bauen«, hatte er gesagt.
Sie hatte dabeigestanden, den Mantelkragen eng um den Hals geschlossen, und klein und verloren ausgesehen, während er in das große Wohnzimmer gegangen war und einen Arm voll polierter Bruchstücke vom Deckel des Flügels mitbrachte. Nachdem sie ihm geholfen hatte, mehr Papier einzusammeln, hatte er sorgfältig ein Feuer gebaut, dabei die scharfen Holzsplitter wie einen Wigwam aufgestellt. Die rauchigen orangefarbenen Flammen waren rasch daran hinaufgeklettert. Plötzlich war der beißende Geruch brennenden Firnisses durch den Raum gezogen. Sie hatte am Kamin gekniet und ihre schönen Hände hingestreckt, und zum ersten Mal war ihm aufgefallen, dass es die eines nervösen Kindes waren, dass sie sich die Nägel völlig abgekaut hatte. Ihre Hände waren überraschend schmal und zerbrechlich gewesen. Sie hatte zu ihm hochgesehen, und als sie sah, dass er ihre Hände betrachtete, diese rasch zu Fäusten geballt, damit die Fingernägel verborgen waren, und sie ganz wie ein Kind, das beim Kekseklauen erwischt wird, in die Manteltaschen gesteckt. Dann war sie nervös aufgestanden. Impulsiv hatte er ihre rechte Hand aus der Tasche gezogen, sie gestreichelt und geküsst. Sie hatte das Gesicht an seiner Schulter vergraben, und er hatte gespürt, wie sie zitterte.
»Du bist zu schön, um dir wegen deiner Hände Gedanken zu machen«, hatte er gesagt. »Komm, dir ist doch kalt – holen wir mehr Holz fürs Feuer.« Er war ins Wohnzimmer gegangen und mit einem schweren, amputierten Bein des Flügels zurückgekommen, dessen Fuß als der eines Löwen geschnitzt war, der eine runde, glänzende Kugel gepackt hält. Er hatte ihn aufs Feuer gelegt, und die Flammen hatten ihn sofort umschlossen und gierig am Firnis geleckt. Dann war er noch einmal ins Wohnzimmer gegangen und hatte fest an einem der zerfledderten Damastvorhänge gezogen, sodass er zusammen mit der polternden Vorhangstange herunterfiel. Er hatte ihn in die Bibliothek geschleppt, Fetzen davon abgerissen und damit die zerborstenen Fensterscheiben ausgestopft. Den Rest hatte er als Tischtuch auf dem Boden ausgebreitet, und sie hatte sich darangemacht, den Korb auszupacken, hatte in braunes Papier eingewickelte Sandwiches, die Flasche Wein und ein kaltes Brathuhn sorgfältig in einer Reihe hingelegt. Nach und nach hatte das prasselnde Feuer den Raum erwärmt. Sie hatten die Mäntel ausgezogen und sie als Kissen gefaltet neben das Tischtuch gelegt und sich daraufgesetzt.
An dem Tag hatte sie einen abgewetzten schwarzen Rock getragen, dazu eine weiße Bluse, die fast wie ein Männerhemd geschnitten war, der Kragen offen,
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