Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
und eine dunkelgrüne Jacke, die sie selbst genäht hatte in dem Versuch, ein Bild in einer Zeitschriftenanzeige nachzubilden. Sie hatten gierig gegessen, die Hände an dem Damasttischtuch abgewischt und die Flasche Wein hin und her wandern lassen. Als sie fertig waren, hatten sie die Reste des Picknicks wieder in den Korb gepackt. Vorsichtig hatte er zwei Zigaretten angezündet und ihr eine gegeben, und sie hatte sich bequem hingesetzt, ein Stück zum Feuer hin, und die Hände hingehalten, diesmal ungeniert. Draußen hatte es inzwischen stärker geregnet, und von den Fetzen, die er in die zerbrochenen Fenster gesteckt hatte, tropfte Wasser auf den Boden. Weit über ihnen hatte eine Bomberstaffel gebrummt, hoch über den Wolken, auf dem Weg irgendwohin. Die heil gebliebenen Scheiben in den Fenstern hatten gezittert. Er war es zufrieden, dazusitzen und ins Feuer zu starren, das die große Klaue des Flügelbeins schon in Glut verwandelt hatte, und hatte nichts gesagt. Er hatte auf die Armbanduhr geschaut und gesehen, dass es noch nicht einmal zwei war. Das hatte bedeutet, dass sie noch achtzehn Stunden bis acht Uhr am nächsten Morgen haben würden, wenn er bei dem Sergeant von der Transportauskunft nachfragen musste. Achtzehn weitere Stunden, hatte er dankbar gedacht und langsam gerechnet: Der lange Sekundenzeiger auf seiner Uhr müsste eintausendundachtzig Minuten abzählen, eine wunderbar lange Zeit. Er hatte zu ihr hingesehen und überrascht festgestellt, dass sie verletzt und verloren dreinschaute. Plötzlich war ihm bewusst geworden, dass sie schon lange vorher erwartet hatte, von ihm geliebt zu werden, und dass sie fürchtete, er könnte sie satt geworden sein oder dass sie in irgendeiner Weise sein Missfallen erregt hatte. Er hatte sie angelächelt. »Komm her«, hatte er gesagt. Rasch war sie aufgestanden und hatte den Kopf auf seinen Schoß gelegt und zu ihm hinaufgeschaut, sein Lächeln mit ihrem Gesicht gespiegelt. Er hatte ihr sanft über Haare und Stirn gestrichen und sich dabei seltsam ruhig gefühlt. Über ihnen war wieder eine Bomberstaffel dahingedröhnt, gefolgt von immer weiteren, bis das ganze Haus bebte. Er hatte über ihre Schulter durch das regenverschlierte Glas geblickt und die Nymphe ohne Kopf gesehen, wie sie ihr leeres Füllhorn hochhielt, eine Silhouette vor den regenschweren Wolken. Nach einigen Augenblicken hatte er wieder Maria angeschaut, die mit dem Kopf auf seinem Schoß im gelben Feuerschein lag, und er hatte gesehen, dass sie, um seine Liebkosungen einzuladen, ihre Jacke aufgeknöpft und die Bluse geöffnet, ihre Brüste teilweise entblößt hatte und das tiefe Tal dazwischen. Daraufhin hatte er sie geküsst, der Kuss zunächst ein Akt der Freundlichkeit, aber rasch war mehr daraus geworden. »O Gott, ich liebe dich«, hatte er gesagt.
Sie hatten die Villa gerade noch rechtzeitig verlassen, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Rom zu sein. Als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, hatte sie auf dem kleinen Primuskocher, den er ihr geschenkt hatte, das Abendessen gekocht, und er hatte sich aufs Bett gelegt und wieder auf die Uhr geschaut. Es war erst sechs Uhr – noch immer vierzehn Stunden, weitere achthundertvierzig Umdrehungen des Sekundenzeigers, bevor er nachfragen musste. Er hatte sich auf dem weichen Bett ausgestreckt und alles unglaublich luxuriös gefunden, und er hatte sich die vor ihm liegenden Minuten wie ein König sein Reich vorgestellt. Maria hatte weise und zufrieden dagesessen, hatte in dem Suppentopf gerührt, der allmählich dampfte und die Luft mit einem Aroma erfüllte.
Nur wenige Tage danach hatte er in einem kleinen Musikgeschäft, an dem sie auf dem Heimweg von einem Restaurant vorbeigekommen waren, eine Mandoline gekauft, und er hatte viele Nachmittage in Marias Zimmer gelegen und träge darauf herumgeklimpert, ohne richtig zu spielen, die glatten Stahlsaiten unter seinen Fingern aber sehr entspannend gefunden. Maria hatte es gefallen – ihr Vater habe auch Mandoline gespielt, hatte sie gesagt. Die Mandoline hatte er dann, neben der Jeepladung Dosennahrung und den zwölf Stangen Zigaretten, bei ihr zurückgelassen.
Als er nun allein in seinem Hotelzimmer in Atlantic City lag, warf Tom unwillkürlich einen Blick auf seine Armbanduhr, auf der derselbe alte Sekundenzeiger nichtssagend die Minuten abzählte. Es war nur die Jugend gewesen, dachte er, und der Krieg, was, wenn schon nichts anderes, so doch den Wert der Zeit lehrte. Jemand müsste dafür
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