Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
führten aus diesem Vorzimmer. Eine davon war sehr breit und führte offensichtlich zu Hopkins’ letztem Zufluchtsort.
»Mr Hopkins ist beschäftigt«, sagte die Grauhaarige zu Walker und lächelte. Jeder in diesem Bau lächelt, dachte Tom – selbst Ogden bewerkstelligte beim Sprechen ein schmales, feines Zucken der Lippen. Offenbar war das in dem Unternehmen Vorschrift.
Sie setzten sich auf die Sessel um den Aschenbecher herum. Tom bemerkte eine Reihe sorgfältig gerahmter Fotografien vor ihm an der Wand. Eine zeigte Winston Churchill, wie er einem Flugzeug entstieg. Am unteren Ende der Fotografie war etwas in fetter Schrift geschrieben, aber Tom war nicht nahe genug dran, um es lesen zu können, und irgendwie wäre es undenkbar gewesen, aufzustehen und das Foto genauer zu betrachten.
»Mr Givens ist bei ihm«, sagte die Grauhaarige. »Sie werden gleich fertig sein.« Wieder lächelte sie, und Ogden und Walker lächelten zurück.
Zehn Minuten später trat ein hochgewachsener, distinguiert wirkender Mann aus der größten der drei Türen und schritt forsch durchs Vorzimmer zu den Fahrstühlen.
»Sie können jetzt rein«, sagte die Grauhaarige.
Hinter Ogden betrat Tom einen großen rechteckigen Raum mit riesigen Fenstern an zwei Seiten. Der Blick über die Stadt war atemberaubend – der Fußboden schien fast wie eine Plattform, die mitten in der Luft aufgehängt war. Am Ende des Raums, hinter einem mächtigen rechteckigen Schreibtisch, saß Hopkins. Er war klein, nicht größer als eins sechzig oder zweiundsechzig – irgendwie hatte Tom erwartet, dass er eher zwei Meter zehn maß. Er war bleich, schlank und hatte eine Teilglatze. Seine Augen saßen tief, das Gesicht war schmal und die Nase kurz wie die eines Kindes. Sein Lächeln war seltsam jungenhaft. Er trug einen braunen Kammgarnanzug.
»Hallo!«, sagte er, stand auf und schritt forsch um ein Ende des Schreibtischs herum. »Guten Morgen, Gordon! Wie geht’s, Bill! Und Sie sind also Tom Rath! Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu Mittag zu essen!«
Seine Art war ebenso warm wie respektvoll. Er schüttelte Tom herzlich die Hand und hielt, ohne dass dieser mehr als »Wie geht es Ihnen« sagen musste, ein stetes Geplauder aufrecht.
»Wie ich höre, arbeiten Sie für die Schanenhauser-Stiftung«, sagte er. »Das ist ja wirklich ein prima Laden! Ich habe bei Komitees ein wenig mit Dick Haver zusammengearbeitet …«
Er ging zur Tür und, nachdem er darauf bestanden hatte, dass alle vor ihm hinausgingen, neben Tom immer weiter redend zum Fahrstuhl. Allmählich entspannte sich Tom. Es war lächerlich, bei diesem freundlichen kleinen Mann, der so sehr darauf bedacht schien, ihm zu gefallen, nervös zu sein. Nachdem Tom ihm nun begegnet war, fand er das Gespräch, das er mit Bill Hawthorne geführt hatte, absurd.
Als sie in den Fahrstuhl traten, sah Tom sofort, dass der Fahrstuhlführer jener Mann war, der ihm so bekannt vorkam. Der sah ihn kurz an und schaute dann rasch auf Hopkins.
»Guten Morgen, Mr Hopkins!«, sagte er mit seiner tiefen Stimme und sauste ohne Zwischenhalt ins Erdgeschoss hinab. Hopkins bestand darauf, den Fahrstuhl als Letzter zu verlassen. Beim Verlassen des Gebäudes schaute Tom über die Schulter zurück und sah, dass der Fahrstuhlführer in der Kabinentür stand und ihn beobachtete. Tom schaute schnell weg. Hopkins ging über die Rockefeller Plaza voraus zu einem anderen Gebäude, in dessen oberstem Stock ein Club mit einem großen Speisesaal und einem weiten Blick über die Stadt war. Sie setzten sich an einen Ecktisch, dann nahm eine Kellnerin ihre Cocktail-Bestellung auf.
»Ich nehme an, Bill und Gordon haben Ihnen ein wenig über das neue Projekt erzählt, das wir ins Leben rufen wollen«, sagte Hopkins, als die Drinks da waren. »Was halten Sie davon?«
»Ich kenne ja noch keine Details, aber es klingt in jedem Fall interessant«, sagte Tom in dem Versuch, Vorsicht, Weisheit und Begeisterung zu verbinden.
»Die Details kennen wir selbst noch nicht«, sagte Hopkins. »Alles begann, als mich vor einigen Monaten eine Gruppe Ärzte anrief. Sie waren wohl der Ansicht, dass die ganze Frage der psychischen Gesundheit in der Öffentlichkeit nicht richtig verstanden werde und dass eine Kampagne wie der Kampf gegen Krebs oder Polio nötig sei. Die Statistiken, die sie mir gaben, haben mich beeindruckt. Wussten Sie, dass mehr Krankenhausbetten von Geisteskranken belegt sind als von Krebs-, Herz-
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