Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
der Psychiater fragen, und ich würde antworten: Ich weiß es nicht – nichts macht mehr besonders Spaß. Ganz plötzlich hat die Musik aufgehört und nicht wieder angefangen. Ist das komisch oder passiert das allen um die Zeit, wenn die Jugend verfliegt?
Der Psychiater hätte eine Erklärung, dachte Betsy, aber ich will sie nicht hören. Heutzutage verlassen sich zu viele auf Erklärungen und nicht genug auf Mut und Tat. Warum machen wir den Verkauf dieses Hauses nur so kompliziert? Wir mögen die Greentree Avenue nicht, also ziehen wir weg. Tom hat eine gute Stelle, und er wird seine Begeisterung wiederfinden und Erfolg haben. Alles wird gut. Es ist nicht gut, sich Nachtgedanken hinzugeben. Wir vertrauen eben auf Gott, weiter nichts.
Betsy hatte die Fäuste geballt und die Lippen fest zusammengepresst, genauso, wie sie es getan hatte, als sie durch die Schatten hinauf ins Bett gegangen war, entschlossen, ihre Angst oder Eifersucht auf ihre Schwester nicht zu zeigen, die unten am Kamin saß und lachte. Sie schaute auf Tom, sah, dass ihm die Decke von den Schultern gerutscht war, und deckte ihn sorgsam wieder zu. Dann schlief sie ein, und als sie am Morgen erwachte, war sie so tatkräftig und fröhlich wie sonst, summte unmelodisch ein Lied vor sich hin, als sie Frühstück machte und ihren Mann zum Bahnhof fuhr.
Vier Tage nach seinem Besuch in Hopkins’ Wohnung tippte Tom die Endfassung seiner ersten Fassung von Hopkins’ Rede ab. Vom ersten Satz (Es ist mir eine große Freude, heute Abend hier zu sein.) bis zum letzten (Und diese Arbeit kann geleistet werden.) fand Tom sie eigentlich ganz gut. Wohl hatte sie etwas ziemlich Weltfernes, aber Tom mochte sich bemühen, wie er wollte, er konnte es nicht ganz natürlich erscheinen lassen, dass der Vorstandsvorsitzende von United Broadcasting überhaupt über psychische Gesundheit sprach. Als er die Rede, so gut er konnte, geschliffen hatte, gab er sie seiner Sekretärin, die sie sauber mit drei Kopien abtippte. Zwei davon heftete Tom ab und ging mit dem Original und einer Kopie zu Ogden. Er erwartete nicht gerade, dass Ogden die Hände hochriss und in Jubel ausbrach, wenn er die Rede durchlas, aber es traf ihn völlig unvorbereitet, dass Ogden, nachdem er die ersten zwei Seiten gelesen hatte, die Blätter auf den Schreibtisch knallte und sagte: »Gott! Das ist ja furchtbar! Das entspricht überhaupt nicht dem, was wir wollen!«
Zum ersten Mal seit Jahren merkte Tom, dass er errötete.
»Das können Sie aber besser!«, sagte Ogden verächtlich, bevor Tom überhaupt die Gelegenheit hatte, etwas zu sagen. »Nehmen Sie das und überarbeiten Sie es. Sehen Sie zu, dass ich heute Abend etwas in der Hand habe. Mr Hopkins möchte Sie um halb neun in seiner Wohnung sehen. Und strengen Sie sich jetzt mal richtig an.«
»Ich versuche es«, sagte Tom unnatürlich leise. Er hatte den jähen, sogleich beherrschten Drang, Ogden umzubringen. Er wusste auch genau, wie er es tun würde – er würde die Hände verklammern, sie hoch über den Kopf heben und sie mit der vollen Kraft seines Rückens auf Ogdens Genick niederfahren lassen. Von den eigenen Gedanken erschüttert, nahm er die Rede und ging wieder in sein Büro. Ein Blick auf seine vertraute, dicke alte Armbanduhr sagte ihm, dass er noch neun Stunden für die Arbeit hatte. Er drehte ein frisches Papier in die Schreibmaschine. »Es ist ein großes Vergnügen, heute Abend hier zu sein«, begann er und strich es durch. »Ich bin zutiefst dankbar für die Gelegenheit, heute Abend zu Ihnen zu sprechen«, schrieb er dafür hin. Nein, verdammt!, dachte er und strich auch das durch. »Es bereitet mir das größte Vergnügen …«
Um halb neun klopfte er mit müden Augen an die Tür von Hopkins’ Wohnung, die neu getippte Rede in einem Umschlag in der Hand.
Hopkins ließ ihn ein, dankte ihm erneut, dass er gekommen war, und reichte ihm einen Drink. Tom übergab ihm die Rede und schritt, außerstande, ihm beim Lesen zuzusehen, befangen durchs Zimmer, um die Bleisoldaten zu betrachten. Sie waren handbemalt, und das erstaunlich detailgetreu. Er überlegte, wie lange Hopkins wohl brauchte, um die Rede zu lesen. Wenigstens hatte er sie noch nicht hingeschmissen, und die erste Seite musste er schon gelesen haben. Auf dem zweiten Bord stand eine Kompanie englischer Bogenschützen, offenbar zielten sie mit ihren langen Pfeilen auf eine Einheit von Soldaten, die auf die Amerikanische Revolution warteten. Tom hörte hinter sich eine Seite
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