Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
hatte Betsy gesagt.
»Aber du weißt nicht, wie ihr beiden seid, wenn er wieder da ist.«
»Wir werden immer so sein, wie wir jetzt sind!«
Wie tapfer ihr diese Worte jetzt erschienen! Warum denke ich denn jetzt an Alice?, dachte Betsy. Sie beugte sich zum Aschenbecher hin und drückte die Zigarette aus. Neben ihr im Bett wälzte Tom sich unruhig.
An unserer Ehe ist alles in Ordnung, jedenfalls prinzipiell, dachte Betsy. Wir können nicht ewig wie zwei Kinder sein, die fröhlich Vater-Mutter-Kind spielen.
So war es vor dem Krieg gewesen – wie Kinder, die Vater-Mutter-Kind spielen , dachte sie, doch selbst der Sarkasmus dieses Ausdrucks konnte die Erinnerung nicht beflecken. Sie hatten nur ein Vierteljahr zusammen gehabt, dann war Tom zur Armee gegangen. Wie aufregend diese Zeit gewesen war! Er hatte einen absurden Teil seiner Ersparnisse für ihren Verlobungsring ausgegeben und dann noch für einen passenden, diamantenbesetzten Ehering. Damals hatte sie ihm deswegen Vorhaltungen gemacht, und es war seltsam, sich jetzt daran zu erinnern, dass dieser Schmuck, gekauft in einer tapferen Geste der Ritterlichkeit, sich als die einzige kluge Investition erwiesen hatte, die sie je getätigt hatten. Als sie die Ringe das letzte Mal hatte reinigen lassen, hatte ihr der Juwelier weit mehr dafür geboten, als Tom bezahlt hatte, weil Diamanten seit dem Krieg erheblich an Wert gewonnen hatten.
Das war irgendwie typisch dafür, wie alles geworden war, dachte Betsy. Die törichte Geste hatte sich als kluge Investition erwiesen, und die meisten ihrer sorgfältigen Planungen hatten zu nichts geführt. Ich würde gern zurück an den Anfang gehen, die Jahre verfolgen und herausfinden, was schiefgelaufen ist, dachte Betsy. Nachdem sie und Tom geheiratet hatten, zogen sie in eine winzige Wohnung in Boston, und auf ihre Bitte hin hatte Tom einen jungen Bernhardiner und ein weißes Angorakätzchen mit blauen Augen gekauft, da ihre Familie in dem Haus in der Beacon Hill nie ein Haustier gestattet hatte. Ihre klarste Erinnerung an jene drei Monate vor dem Krieg war nun, wie das große, tollpatschige Hündchen, das großäugige Kätzchen, Tom und sie auf dem Fußboden herumtollten und spielten und wie die Sonne durchs Fenster auf einen großen rot-goldenen Orientteppich strömte, den ihnen jemand zur Hochzeit geschenkt hatte.
Wie Kinder, die Vater-Mutter-Kind spielen , dachte sie. Während der ersten beiden Tage, die sie in der Wohnung waren, hatte sie Milch bei zwei Milchmännern bestellt, weil der zweite ein ganz aggressiver Verkäufer war, sodass der Kühlschrank voller Milchflaschen stand, bis Tom die Sache regelte. Die Küche hatte während dieses Vierteljahrs von Gewürzen geduftet – sie hatte mit nahezu jedem Rezept im Kochbuch experimentiert. Damals waren die Mahlzeiten nicht einfach eine lästige Pflicht gewesen, die man so schnell wie möglich erledigen wollte.
Wir waren damals nicht zu jung zum Heiraten, dachte sie – ich glaube, das Dumme ist, obwohl erst zwölf Jahre vergangen sind, sind wir jetzt irgendwie zu alt, um verheiratet zu sein. Wahrscheinlich möchte ich deswegen so gern aus dem Haus ausziehen, dachte Betsy – ich will weniger ein größeres Haus, vielmehr will ich dieses alte Vierteljahr zurückhaben, damals vor dem Krieg. Es ist, als hätten Tom und ich zweimal geheiratet, einmal vor dem Krieg und einmal danach, und ich möchte meine erste Ehe zurückhaben.
» Eins kann ich dir sagen «, hatte Alice gesagt.
Verdammte Alice , dachte Betsy jetzt. Es tut mir immer noch nicht leid, dass ich geheiratet habe, und ich bin froh, dass ich nicht ihrem Rat gefolgt bin. Seit dem Krieg muss Tom eben nur so hart arbeiten, und er hat so viel um die Ohren. Meistens sind wir beide erschöpft – »die müden Dreißiger« hat der Arzt es einmal genannt, die Zeit, wenn die Leute Kinder haben, im Job gut sein müssen, ein Haus kaufen und so weiter. Wir sind beide einfach müde. Deshalb scheint uns nichts mehr besonders Spaß zu machen.
Da, ich hab’s gesagt, dachte sie, und es klingt absurd, aber es stimmt. Nichts macht mehr besonders Spaß. Eigentlich ist unser Haus ja ganz in Ordnung, auch die Greentree Avenue und Tom und ich. Nur macht nichts mehr besonders Spaß, und das ist grässlich, denn wenn man das mal gesagt hat, gibt es weiter nichts mehr zu sagen.
Warum? , dachte sie.
Um das zu beantworten, bräuchte es wahrscheinlich einen Psychiater. Vielleicht sollten Tom und ich einen aufsuchen. Was ist los?, würde
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