Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Wie lange ist das nur her! Mann, das müssen doch fast zehn Jahre sein, acht, neun bestimmt! Sie sehen gut aus, Mann! Das Zivilleben bekommt Ihnen offenbar gut!«
Caesar lächelte. »Sie machen sich aber auch nicht gerade schlecht«, sagte er. »Ich hab Sie mit Mr Hopkins runterfahren sehen. Sind Sie Assistent vom ihm oder so was?«
»Ja«, sagte Tom. »Ich arbeite für ihn.«
Ein verlegenes Schweigen folgte, während dessen das Lächeln aus Caesars Gesicht verschwand.
»Ich muss los«, sagte Tom und ging Richtung Tür. »Muss zur Bahn. War nett, dass wir uns getroffen haben.«
»Ob wir uns vielleicht mal sehen könnten?«, sagte Caesar noch schnell. Er wirkte auf einmal nervös und schob sich die violette Kappe zurück. »Bloß was trinken oder so«, sagte er. »Ich würd mich gern mit Ihnen unterhalten.«
»Gern«, sagte Tom zögernd. »Doch, gern!« Von dem Verlangen gepackt, das Treffen hinter sich zu bringen, setzte er hinzu: »Wie wär’s gleich? Ich könnte auch einen Zug später nehmen.«
»Nein«, erwiderte Caesar. »Ich hab noch zwei Stunden Dienst. Kann ich Sie anrufen, wenn ich dienstfrei hab?«
»Na, sicher!«, sagte Tom. »Jederzeit! Rufen Sie mich an!«
Auf der Kontrolltafel blinkte es, und der Portier kam schon auf sie zu. Tom verließ fröhlich winkend die Kabine und lief rasch zur Grand Central Station. Er will mich sehen, dachte er. Weswegen? Vielleicht, um über die alten Zeiten zu sprechen – das ist doch völlig normal. Wir treffen uns, trinken was und machen Witze über den Krieg. Mehr ist da nicht. Was sonst konnte er schon wollen?
Erpressung. Plötzlich schoss ihm dieses Wort durch den Kopf. Das ist doch absurd, dachte er. Erstens würde Caesar so etwas nie tun. Er war immer ein anständiger Kerl gewesen. Zweitens gibt es so etwas wie Verjährung. Und drittens konnte er nichts beweisen, schon gar nicht nach dieser langen Zeit. Wenn man’s genau betrachtet, habe ich ohnehin nichts Illegales getan, jedenfalls nichts, woran man etwas ändern könnte. Maria würde jetzt nichts gegen mich unternehmen.
Trotzdem, Caesar könnte mir durchaus unangenehm werden, dachte Tom. Das Aufsehen – wenn er öffentlich irgendwelche Beschuldigungen gegen mich erhebt, könnte allein das schon ein Aufsehen erregen, das mich ruiniert. Und wahrscheinlich glaubt er, ich bin reich, nachdem er mich mit Hopkins und so weiter gesehen hat. Was er wohl vorhat? Vielleicht weiß er aber auch etwas über Maria, was er mir erzählen will.
Nein, dachte Tom, als er am Bahnhof ankam, das ist es nicht. Zwei alte Kumpel treffen sich und trinken was zusammen, mehr ist da nicht – das macht man so, und Caesar will sich nur an die allgemeinen Regeln halten. Lächerlich, sich Sorgen zu machen. Ich muss einfach lernen, mich zu entspannen und die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen. Ich bin hart, und ich kriege jetzt keine weichen Knie.
Am nächsten Tag erwartete er Caesars Anruf und war jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, angespannt, ebenso, wenn er in einen Fahrstuhl stieg, doch er sah und hörte nichts von ihm. Am Tag danach geschah nichts, auch nichts am übernächsten. Wahrscheinlich meldet er sich gar nicht, dachte Tom – wahrscheinlich ist damit Schluss. Außerdem ist es durchaus möglich, sogar wahrscheinlich, dass der arme Kerl einfach nur höflich sein wollte. Als weitere Tage ohne etwas von Caesar vergingen, vertiefte sich Toms Überzeugung, dass dem so war. Wahrscheinlich ist es ihm zu peinlich, mich anzurufen, dachte er. Schließlich ist der Abstand zwischen einem Fahrstuhlführer und dem Assistenten des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens größer als der zwischen einem Corporal und einem Captain. Er wollte eben höflich sein, sagte sich Tom immer wieder, und wahrscheinlich höre ich nie mehr von ihm. Begegnen wir uns im Fahrstuhl, nicken wir einander eben zu, das war’s dann auch.
Im Lauf der folgenden Woche machte Tom weitere vier Entwürfe der Rede, die Ogden jeweils heruntermachte und Hopkins über den grünen Klee lobte, nur um ihn dann zu bitten, sie umzuschreiben. Es ging sogar so weit, dass Tom Wendungen aus der Rede im Schlaf murmelte. »Es ist mir eine große Freude …«, stöhnte er einmal morgens um drei Uhr.
»Was?«, fragte Betsy verblüfft.
»Eine wirkliche Freude, heute Abend hier in dieser illustren Gesellschaft zu sein …«
»Wach auf!«, sagte Betsy. »Wach auf! Du redest ja im Schlaf!«
Seine Angst wuchs, dass er sich in seiner neuen Stellung als vollkommener
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