Der Mann im Labyrinth
Anordnung und Zusammensetzung der Stadt gewinnen können, indem sie den fliegenden Drohnen die ganze Arbeit überlassen hätten. Aber Boardman war anderer Ansicht gewesen und hatte sie auch hartnäckig vertreten. Der menschliche Verstand registriert auf gewisse Weise Informationen von einem Bildschirm, aber es ist etwas ganz anderes, wenn er diese Eindrücke aus erster Hand, durch die eigenen Sinne erhält. Und jetzt hatten alle mitbekommen, wie die Stadt von der Luft aus aussah und was die Anlagen des Labyrinths mit einem Spionauge anstellen konnten, das sich zu nahe an das Schutzfeld heranwagte, das die ganze Stadt überspannte.
Rawlins hatte auf die Möglichkeit eines Nullpunkts oder einer neutralen Stelle im Schutzschirm aufmerksam gemacht. Am späten Nachmittag untersuchten sie diese Theorie: Eine Flugdrohne wurde mit Metallkugeln beladen und fünfzig Meter über dem höchsten Punkt des Labyrinths stationiert. Auf den Bildschirmen wurde übertragen, wie die Drohne sich langsam drehte und dabei einzelne Kugeln auf ausgesuchte Stellen von einem Quadratmeter Größe verschoß. Jede einzelne wurde von der Energie des Schirms im Flug vernichtet. Aber die Menschen erfuhren dabei, daß die Dicke des Schutzfelds variierte: Vom Rand zum Zentrum wurde es immer dünner. Über den innersten Zonen betrug die Dicke nur noch zwei Meter, während sie am Außenrand ein Vielfaches davon aufwies – und so eine unsichtbare Schüssel über der Stadt bildete. Aber nirgendwo gab es eine Lücke oder einen Nullpunkt. Das Feld war dicht. Hosteen probierte danach die Möglichkeit aus, ob der Schirm überlastet werden konnte. Er belud die Drohne erneut mit Metallkugeln, die nun simultan auf die einzelnen Testvierecke verschossen wurden. Das Feld wurde mit allen mühelos fertig. Einen Moment lang vereinigten sich die Flammen und bildeten eine Feuerschicht über der Stadt.
Auf Kosten von einigen Maulwurfsdrohnen fanden sie heraus, daß man auch nicht durch einen Tunnel in die Stadt eindringen konnte. Die Roboter gruben sich ein Stück von den Außenwällen entfernt in den grobkörnigen, sandigen Boden, fraßen sich fünfzig Meter unter der Oberfläche Tunnel und stießen wieder nach oben, als sie sich unter dem Labyrinth befanden. Zwanzig Meter unter der Oberfläche vernichtete sie das Schutzfeld. Auch der Versuch, sich direkt an der Basis der Wälle in den Boden zu graben, scheiterte. Das Feld erstreckte sich offensichtlich kugelförmig um die Stadt.
Ein Energiefachmann schlug vor, eine Störanlage zu errichten, die dem Schirm die Energie entziehen sollte. Aber auch das war ein Fehlschlag. Der hundert Meter hohe Störmast saugte zwar so viel ab, daß blaue Blitze zwischen ihm und seinen Akkumulatoren hin und her sprangen, aber das Schutzfeld blieb stabil. Der Mast wurde umgepolt und schickte eine Million Kilowatt in das Feld, um es kurzzuschließen. Aber der Schirm saugte die ganze Energie in sich auf und schien gar nicht genug bekommen zu können. Niemand im Lager konnte mit einer vernünftigen Theorie aufwarten, woher das Feld seine Energie bezog und was es aufrecht erhielt. „Es muß direkt die Rotationsenergie des Planeten anzapfen“, sagte der Energiefachmann, der den Versuch mit dem Mast unternommen hatte. Dann begriff er, daß er sich diese Bemerkung auch hätte sparen können, und rief in barschem Ton Befehle in das Mikrophon, das er mit sich führte.
Nach drei Tagen ähnlicher Versuche war klar, daß die Stadt gegen jeden gewaltsamen Invasionsversuch gefeit war, ob er nun über oder unter der Erde erfolgte.
„Es gibt nur einen Weg hinein“, sagte Hosteen, „und zwar zu Fuß und durch das Haupttor.“
„Wenn die Bewohner der Stadt wirklich in Sicherheit leben wollten“, fragte Rawlins, „warum haben sie dann ein Tor offengelassen?“
„Vielleicht wollten sie selbst auch hin und wieder die Stadt verlassen und wieder betreten können, Ned“, meinte Boardman gelassen. „Oder sie wollten Invasoren eine faire Chance geben. Hosteen, sollen wir damit beginnen, die Drohnen hineinzuschicken?“
Ein grauer Morgen. Wolken in der Farbe von Holzrauch überzogen den Himmel. Es sah beinahe so aus, als stünde Regen an. Ein rauher Wind fegte lose Erde von der Ebene und schleuderte sie den Männern in die Gesichter. Hinter dem Wolkenschleier stand irgendwo die Sonne, eine flache, orangefarbene Scheibe, die an den Himmel geklebt zu sein schien. Sie wirkte nur wenig größer als Sol von der Erde aus gesehen. Aber sie war nur halb
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