Der Mann im Labyrinth
Marta und er mit dem Schnellgleiter zu Boardmans Hotel. Muller erinnerte sich heute noch so deutlich an den Ausflug, als hätte er letzten Monat stattgefunden und nicht vor fünfzehn Jahren. Sie waren über den Kontinentaleinschnitt geschwebt und so niedrig über den schneebedeckten Gipfeln geflogen, daß sie die beeindruckende Gestalt eines langhörnigen, ziegenartigen Felsenspringers entdecken konnten, wie er über die glitzernden Eisflüsse hüpfte. Zwei Tonnen Muskeln und Knochen, ein unglaublicher Koloß des Hochgebirges, die kostspieligste Beute, die Marduk anzubieten hatte. Manche Menschen verdienten in ihrem ganzen Leben nicht so viel Geld, um die Lizenz für die Jagd auf den Felsspringer zu erwerben. Und Muller wollte es damals so vorkommen, als sei selbst dieser Preis noch zu niedrig.
Dreimal umkreisten sie das riesige Tier, bevor sie zum Seen-Distrikt weiterflogen, der Ebene jenseits der Gebirgskette, wo eine ganze Platte diamantklarer Gewässer den fetten Leib des Kontinents umgürtete. Gegen Mittag waren sie am Rand eines lieblichen Waldes aus Immergrün gelandet. Boardman hatte die Fürstensuite des Hotels gemietet – in der es von Bildschirmen und Überwachungsgeräten wimmelte. Er ergriff Mullers Handgelenk zum Salut und umarmte Marta mit unverfrorener Lüsternheit. Sie ging auf Distanz und hielt ihn von sich ab. Unübersehbar betrachtete sie diesen Ausflug als reine Zeitverschwendung.
„Haben Sie Hunger?“ fragte Boardman. „Erst das Essen, dann die Arbeit!“
Er servierte den beiden auf seinem Zimmer Aperitifs: bernsteinfarbenen Wein in Pokalen, die aus einem blauen, auf Ganymed gewonnenen Felskristall gehauen waren. Danach bestiegen sie einen Speisegleiter und verließen das Hotel, um während der Mahlzeit über Wälder und Seen zu fliegen. Sie nahmen in Pneumosessein vor einem Panoramafenster Platz. Währenddessen rollte die Mahlzeit aus einem Container auf sie zu: frischer Salat, gegrillter einheimischer Fisch, importiertes Gemüse; zerriebener Streukäse von Centauri; Flaschen mit eiskaltem Reisbier; ein würziger grüner Likör zum Nachtisch. Völlig passiv und eingeschlossen in ihrer fliegenden Kapsel ließen sie sich das Essen, die Getränke und die Aussicht vorsetzen, atmeten die prickelnde Luft, die von außen hereingepumpt wurde, und beobachteten bunte Vögel, die an ihnen vorbeiflatterten und sich dann zwischen den weichen, fallenden Nadeln der in dichtem Grün stehenden Bäume in den Wäldern verloren. Boardman hatte alles sorgfältig vorbereitet, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Aber bei Muller waren diese Anstrengungen umsonst. So leicht ließ er sich nicht einlullen. Das hieß nicht, daß er Boardmans Auftrag, wie immer der auch aussehen mochte, nicht annehmen würde. Aber dann keinesfalls deswegen, weil man ihn durch bestimmte Tricks beeindrucken konnte.
Marta langweilte sich. Sie zeigte das mit der gleichgültigen Miene, mit der sie Boardmans auffordernd lüsternen Blicken begegnete. Das schimmernde Tageskleid, das sie trug, war mehr auf Enthüllen als auf Verbergen angelegt. Während die langgezogenen Moleküle kaleidoskopartig in einem bestimmten Muster über den Stoff zogen, gaben sie immer wieder kurze, freizügige Blicke auf ihre Oberschenkel und Brüste, ihren Unterleib und ihre Taille, auf ihre Hüften und auf ihren Hintern frei. Boardman wußte diese Vorstellung zu würdigen und schien bereit, in Martas scheinbare Bereitwilligkeit zu investieren. Aber sie ignorierte seine wortlosen Avancen völlig. Muller amüsierte das. Boardman nicht.
Nach dem Lunch landete der Gleiter am Ufer eines juwelengleichen Sees mit tiefem und klarem Wasser. Eine Seiten wand öffnete sich, und Boardman sagte: „Vielleicht möchte die junge Dame schwimmen gehen, während wir hier rasch die trockenen Geschäfte hinter uns bringen?“
„Eine ausgezeichnete Idee“, sagte Marta gleichgültig.
Sie stand auf und öffnete dabei die Schnalle an ihrer Schulter. Das Kleid glitt bis zu den Knöcheln hinab. Boardman zog eine große Show ab, indem er das Stück auffing und über eine Ablage hängte. Sie schenkte ihm ein mechanisches Lächeln, drehte sich um und ging zum Rand des Sees. Eine nackte, braungebrannte Gestalt, auf deren geschmeidigem Rücken und sanft gerundetem Hintereil die Reflexe der durch die Bäume scheinenden Sonne spielten. Mit den Waden im Wasser blieb sie einen Moment stehen. Dann sprang sie nach vorn und teilte den Wasserspiegel mit kräftigen und gleichmäßigen
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