Der Mann im Labyrinth
Wirkungsbereiches vom Störfeld stehen. „Dave?“ krächzte er. „Dave, ist bei dir alles in Ordnung?“
„Er kam vom Weg ab“, erklärte Boardman. „Es ging alles ganz schnell.“
„Was soll ich nun tun?“
„Bleiben Sie, wo Sie sind, Petrocelli. Bleiben Sie ganz ruhig und unterlassen Sie es, sich zu bewegen. Ich schicke Chesterfield und Walker hinter Ihnen her. Warten Sie dort, wo Sie gerade sind, auf sie.“
Petrocelli zitterte. Boardman erteilte dem Schiffscomputer die Anweisung, ihm eine Spritze zu geben. Der Tornister injizierte dem Mann ein Beruhigungsmittel. Verkrampft und mit dem eisernen Willen, sich nicht nach seinem unglücklichen Gefährten umzudrehen, blieb Petrocelli still stehen und wartete auf die anderen.
Chesterfield und Walker benötigten annähernd eine Stunde, um das Störfeld zu erreichen, und eine knappe weitere Viertelstunde, um die wenigen Quadratmeter mit vorsichtigen Schritten zu durchqueren, die den Einflußbereich ausmachten. Sie hatten dabei die Augen geschlossen, und das gefiel ihnen ganz und gar nicht. Doch konnten die Phantome des Labyrinths Blinde nicht schrecken. Schließlich hatten die beiden den kritischen Bereich hinter sich. Petrocelli hatte sich bereits deutlich beruhigt. Wachsam setzten die drei ihren Weg ins Herz des Irrgartens fort.
Irgend etwas mußte unternommen werden, dachte Boardman, um Marshalls Leiche zu bergen. Aber nicht jetzt und heute. Später.
3
Die längsten Tage im Leben von Ned Rawlins waren die vor vier Jahren gewesen. Er hatte sie auf der Reise nach Rigel verbracht, um den Leichnam seines Vaters nach Hause zu überführen. Aber diese Tage auf Lemnos waren noch länger. Vor dem Bildschirm zu stehen, tapfere Männer sterben zu sehen, jeden einzelnen Nerv nach stundenlangem Warten nach Erleichterung schreien zu hören …
Aber sie waren im Begriff, die Schlacht gegen das Labyrinth zu gewinnen. Vierzehn Männer waren bislang eingedrungen. Vier hatten schon den Tod gefunden. Walker und Petrocelli hatten in Zone E ein Lager aufgeschlagen. Fünf andere Männer hatten in Zone F eine Basisstation errichtet. Drei andere bewegten sich im Augenblick gerade am Störfeld in Zone G vorbei und würden sie bald erreicht haben. Sie hatten das Schlimmste bereits hinter sich. Auf Grund der Erkundungen der Drohnen war bekannt, daß hinter F die Gefahren deutlich nachließen. Und in den inneren Zonen gab es so gut wie überhaupt keine Fallen mehr. Sobald F und E erfolgreich überwunden waren, sollte es kaum noch Schwierigkeiten bereiten, ins Zentrum vorzustoßen, wo Muller teilnahmslos und abweisend wartete, lauerte.
Rawlins glaubte, das Labyrinth mittlerweile in- und auswendig zu kennen. Mehr als hundert Mal hatte er es indirekt und mittelbar durchquert: zuerst durch die Augen der Drohnen, dann mit den Übertragungen der Menschen. Nachts sah er in seinen Alpträumen die dunklen Gebäude, die gewundenen Mauern und die geisterhaften Türme. Eingeschlossen in seinem Schädel durchwanderte er immer wieder die ganze Strecke durch den Irrgarten und begegnete dabei tausend Male dem Tod. Er und Boardman würden die Nutznießer der hart errungenen Erfahrungen sein, wenn sie an der Reihe waren, das Labyrinth zu betreten.
Und bis dahin war es gar nicht mehr lange.
An einem kühlen Morgen stand er mit Boardman unter dem eisengrauen Himmel direkt am Rand des Labrinths, an dem hochragenden Erdwall, der den äußeren Rand der Stadt umgab. In den wenigen Wochen, die sie hier verbracht hatten, war das Jahr überraschend schnell zu seinem Ende gekommen. Winter herrschte auf Lemnos, so wenig er auch mit dem irdischen gemein hatte. Von insgesamt zwanzig Stunden schien die Sonne nur noch sechs am Tag. Denen folgten zwei Stunden trübes Zwielicht. Die Dämmerung war düster und scheinbar endlos. Die wirbelnden Monde tanzten fortwährend am Himmel und spielten mit den Schatten merkwürdige Spiele.
Mittlerweile war Rawlins geradezu begierig darauf, selbst den Gefahren des Labyrinths gegenüberzutreten. Eine seltsame, angespannte Hohlheit, die seiner schrecklichen Ungeduld und Unruhe entsprang, beherrschte seine Eingeweide. Er hatte lange genug gewartet, hatte nur in Bildschirme gestarrt, während andere Männer, manche kaum älter als er, ins Labyrinth gegangen waren und dabei ihr Leben riskiert hatten. Manchmal schien es ihm so, als habe er sein ganzes Leben lang nur auf das Stichwort gewartet, um diese Bühne zu betreten.
Auf dem Bildschirm beobachteten sie Muller im
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